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Dreidimensionale Bewegungsanalyse bei hämophilen Kindern, eine multizentrische prospektive Studie
Rottenburg, den 04. April 2011
In der Kinderorthopädie gibt es viele Standards, die Entwicklungen des Skelettsystems vom Baby zum Erwachsenen aufzeigen. Über die Bewegungsentwicklung des Kindes sucht man in der Literatur vergebens nach. Jeder der die Gangversuche eines ein- oder zweijährigen sieht, erkennt, dass hier noch nach dem optimalen Bewegungsablauf gesucht wird. Aber wie sieht das bei dem 3-, 4-, 5-, 7-, 9-, 12-jährigen aus? Dieser Frage sind wir mit unserer Studie nachgegangen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind ca. 215 Kinder mit 430 Knie untersucht. Die Kinder wurden beim Gehen auf dem Laufband und bei der Kniebeuge bewegungsanalysiert. Jeder Schritt und jede Kniebeuge wurde mit einem Ultraschallvermessungssystem in den drei Dimensionen des Raumes festgehalten und nachher einer Auswertung zugeführt.

Die Ultraschalltopometrie arbeitet mit Ultraschallsendern, die oberhalb und unterhalb des Kniegelenkes befestigt werden (je 2). Diese senden Ultraschallimpulse, die von 4 in einem festen Rahmen installierten Empfängern wahrgenommen werden. Die mitlaufende Uhr stoppt die Zeit, die der Ultraschall vom Sender zum Empfänger braucht. Auf diese Art und Weise kann man bei festgelegter Kantenlänge des Empfängerrahmens und bekannter Geschwindigkeit des Ultraschalles den Punkt des Senders bis auf einen mm in den 3 Ortskoordinaten genau auflösen.

Dann werden diese Daten weiter verarbeitet zu Winkel, Geschwindigkeit- und Beschleunigungsdaten. Für die Untersuchung des Kniegelenkes bei der Kniebeuge, steht auch Software zur Analyse des Roll-Gleitverhaltens zur Verfügung.

Die Untersuchung konnte nur deswegen stattfinden, weil bisher 15 Zentren mit Begeisterung mitgemacht haben. Dazu gehören in alphabetischer Reihenfolge:

Berlin, Bonn, Braunschweig, Bremen, Dresden, Erlangen, Erfurt, Frankfurt, Halle, Hannover, Magdeburg, München, Potsdam, Ulm, Würzburg.

Und natürlich weil viele begeisterte Eltern und Kinder zu den Veranstaltungen gekommen sind und mitgemacht haben. Über die bisherigen Ergebnisse, sind schon viele Veröffentlichungen geschrieben worden. Ich möchte Ihnen heute einige zusammenfassen.

Wir konnten Kriterien für eine optimale Bewegung bzw. die durch die optimale Bewegung entstehenden Kurven festlegen. Diese sind regelmäßig, rhythmisch und sinusförmig! Das heisst, das es kaum Schwankungen der Winkel, der Geschwindigkeit und der Beschleunigung in der Höhe oder in der Zeit gibt und dass die Bewegungen rund erfolgen. Abweichungen davon, die bei vielen Kindern auftreten, lassen sich wie folgt beschreiben:

Die normale Standphase (Belastungsphase) beim erwachsenen Gangbild, zeigt ein fast gestrecktes Knie beim Aufsetzen der Ferse, dann eine Beugung des Kniegelenkes bei Übernahme der Körperlast und wieder eine Kniestreckung bis zum Zehenabdruck und dann erst die Einleitung der Schwungphase. Bei vielen kleinen Kindern ist diese Standphase noch nicht in dieser Form entwickelt. Häufig wird die Standphase abgekürzt und das Knie dadurch nicht optimal belastet. Für den belasteten Teil des Kniegelenkes bedeutet das Mehrarbeit.

Schauen wir uns die Winkelbeschleunigungswerte an, so stehen diese für die Belastung des Kniegelenkes. Je höher die Beschleunigungswerte sind, desto stärker wird ein Gelenk belastet! Bei den Kindern mit noch unreifem Gang und Kniebeugen, finden wir zusätzlich zu den normalen Beschleunigungswerten so genannte Zwischenbeschleunigungen. Dies geschieht vor allen Dingen in den Bewegungsumkehrphasen, wenn das Knie von der Streckung in die Beugung, oder von der Beugung in die Streckung geführt wird. Hier können selbst kleine Steigerungen der Beschleunigungswerte ein deutliches Mehr an Gelenkbelastung bringen.

Die Seitführung des Beines ist sehr wichtig. Jeder Mensch hat eine kleine Seitauslenkung beim Gang und in der Kniebeuge. Überschreitet die jedoch ein normales Maß, ist die seitliche Stabilität des Beines beeinträchtigt und der Gang braucht mehr Energie.

Der Gang auf dem Laufband ist eine höhere koordinative Aufgabenstellung, bei der Kniebeuge wird eher die knieumgebende Kraft überprüft. Es ist im Prinzip möglich, dass Kinder koordinative Probleme haben und auf dem Laufband nicht zurecht kommen, dafür aber bei einer konzentrierten Muskelaktion wie bei der Kniebeuge, eine gute Knieführung haben. Dies kann genauso gut umgekehrt der Fall sein. Für all diese oben genannten Probleme, haben wir ein einfaches Trainingsprogramm entwickelt, das mit einem Krankengymnasten oder Therapeuten leicht durchgeführt werden kann.

Erstes Problem

Keine, ungenügende oder wenig kontrollierte Standphase.

Hier sollten therapeutisch ein Slowmotion-Gangtraining durchgeführt werden. Mit dem Therapeuten wird das strecknahe Aufsetzen des Kniegelenkes, die Beugung und die Streckung während der Standphase geübt. Dies sollte zunächst auf glatten Boden, dann auf koordinativ immer anspruchsvolleren Böden mit den Kindern trainiert werden. So wird die Koordination der Standphase verbessert und die Lastübertragung auf das Kniegelenk auf eine größere Fläche ermöglicht.

Zweites Problem

Instabile Seitführung des Beines.

Neben der krankengymnastischen Therapie, sollte hier auch ein trainingstherapeutisches Beinachsentraining durchgeführt werden. Dies hat Ähnlichkeit mit dem Training der Stand- und Schwungphase. Nur das mehr Augenmerk auf die achsgerechte Führung des Beines während Schwung- und Standphase gelegt wird. Auch hier kann mit mehreren unterschiedlichen Böden zur Belastung des Kindes auch unter erschwerter Koordination gearbeitet werden.

Zusätzlich sollten Kniebeugen von unterschiedlichem Bewegungsausmaß durchgeführt und ein großer Wert auf die lineare Ausführung ohne Seitausweichung gelegt werden. Dies sollte zunächst strecknah beginnen und höchstens bis zu 70°-iger Kniebeuge durchgeführt werden.

Eine Erschwerung dieser Achsschulung kann dadurch geschehen, dass das zu beübende Bein durch Gummibänder nach außen oder nach innen weggezogen wird und der kleine Patient muskulär dagegen arbeiten muss, um in der Bewegungslinie zu bleiben.

Drittes Problem

Beschleunigungsspitzen in den Bewegungsumkehrphasen.

Die Bewegungsumkehrphasen sind funktionell sehr sensible Bewegungsphasen. Hier wird die Bewegung und damit auch die Kraft, von einer in die andere Richtung umgeleitet. Bei unseren Untersuchungen gibt es jeweils 2 Bewegungsumkehrphasen. Einmal von der Streckung in die Beugung, also beim Beginn einer Kniebeuge, und von der Beugung in die Streckung, also beim Wiederaufstehen aus der Kniebeuge.

Hier haben wir bei fast allen Kindern Probleme gesehen und es sollte auch therapeutisch bei allen Kindern darauf eingegangen werden. Wir würden mit einem Slowmotion-Training anfangen, jeweils auf der strecknahen Beugung in die Streckung und wieder in die strecknahe Beugung gehen. Dies sowohl in der Standphase beim Gang als auch bei der Kniebeuge. Das selbe gilt für die endgradige Beugung. Dies kann wiederum auf mehr oder weniger stabilen Untergründen durchgeführt werden. Als Ganzkörperkoordinationsübung kann dies mit Laufspielen mit plötzlicher Richtungsumkehr erfolgen.

Viertes Problem

Roll-Gleitverhalten

Ziel ist es, ein Roll-Gleiten mit hohem Rollanteil während des gesamten Bewegungsspektrums des Gelenkes aufrecht zu erhalten. Dazu müssen die schon durch Rollen gekennzeichneten Bewegungsareale ausgebaut werden. Zunächst also nur in dem schon gut rollenden Bewegungsbereich beüben. Dann langsam unter Belastung die Bewegungsumfänge steigern.

Häufig sind Bewegungseinschränkungen des Kniegelenkes in der Rotationsebene dafür verantwortlich. Deswegen hilft auch eine manuelle Therapie für die Rotation in den betroffenem Bereichen in jeder Beugestellung. Kombinationsbewegungen im PNF-Muster in allen Bewegungsebenen helfen ebenfalls dabei, die innere Führung und Feinkoordination des Kniegelenkes zu verbessern.

Bei etwas älteren Kindern (12-14Jahre) kann auch schon gezielt mit höheren Gewichten und höheren Anforderungen an das Kniegelenk begonnen werden. Da die häufigsten Unregelmäßigkeiten im Roll-Gleitverhalten beugenah bzw. in Beugerichtung aufgetreten sind, ist das ein Zeichen für mangelnde Kraft der Oberschenkelmuskulatur bei Ablassen des Gewichtes. In der tiefen Kniebeuge verstärkt sich diese Belastung noch durch eine Hebelarmverlängerung. Die Kinder reagieren häufig mit verstärkten Ausweichbewegungen, vermehrtem Gleiten oder negativen Rollen.

Funktion und Alter!?

Die Funktion des Kniegelenkes scheint altersabhängig zu sein. Dies hat sich vor allen Dingen bei der weiteren Auswertung auch durch eine Abhängigkeit von der Körpergröße und des Gewichtes bestätigt.

Welche Konsequenzen hat diese Aussage für Ihr Kind?

Je jünger die Kinder sind, desto unkoordinierter ist ihr Gangbild und desto weniger sicher gehen sie in die Hocke und stehen daraus wieder auf. Wir haben in den Untersuchungen zeigen können, dass diese Sicherheit trainierbar ist und verbessert werden kann, wenn wir einfache Übungen durchführen (siehe oben). Vielleicht sind die häufigeren Blutungen in diesem Alter auch darauf zurückzuführen, dass es solche, von der Körperentwicklung abhängigen Bewegungsdefizite gibt. Diese können unter Umständen bei unkoordinierter Bewegung zu Schleimhauteinklemmungen führen und leichter zu Blutungen führen als bei optimal geführten Gelenken. Deswegen ist es unser Anliegen, dass möglichst viele Kinder, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt ein regelmäßiges Gangtraining mit koordinativen Inhalten und ein regelmäßiges Training der Kniebeuge, wie oben beschrieben, durchführen. Dies kann ganz spielerisch erfolgen und hat unter Umständen einen großen Einfluss auf die Gelenkentwicklung.

Es scheint so zu sein, dass sportlichere Kinder schon früher einen besseren Bewegungsumfang haben. Ganz sicher ist es, dass Kinder, die den oben beschriebenen Übungen folgen, sich in ihrer Bewegungsfunktion deutlich verbessern können. Dies haben erste Kontrollvermessungen nach über einem Jahr gezeigt.

Wir sind der Meinung, dass wir jetzt schon viele Gründe beisammen haben, warum eine Funktionsanalyse von hämophilen Kindern helfen kann, die Gelenksituation noch weiter zu verbessern. Um noch eindeutigere Aussagen machen zu können, brauchen wir noch mehr Erfahrung als bisher. Über 200 Kinder sind schon eine ganze Menge und es gibt keine einzige Studie auf dieser Welt, die mehr Kinder untersucht hätte. Da aber der Mensch, und insbesondere der junge Mensch eine große Variationsbreite besitzt, werden die Ergebnisse umso sicherer, je mehr Kinder wir untersucht haben. Erkundigen Sie sich doch bei Ihrem Behandler, vielleicht sind wir bei der nächsten Untersuchung ganz in Ihrer Nähe und Sie können einmal vorbeischauen.

Dr. med. Axel Seuser und Team
Institut für Bewegungsanalyse IBQ in der Kaiser-Karl-Klinik, Bonn

 ( Anmerkung der Redaktion: Dieses Projekt wird unterstützt durch Baxter Deutschland GmbH, Unterschleißheim)

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