Pressemitteilung Gentherapie bei Hämophilie: Krankenkassen verhindern systematisch den Zugang zu einer zugelassenen Therapie
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Gentherapie bei Hämophilie: Krankenkassen verhindern systematisch den Zugang zu einer zugelassenen Therapie
Berlin/Rottenburg, 13. November 2025
Die Interessengemeinschaft Hämophiler (IGH) e.V. hat sich am 13.11.2025 mit dem gesundheitspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Christos Pantazis, getroffen, um die aktuellen Hindernisse beim Zugang zur Gentherapie für Menschen mit Hämophilie zu erörtern. Trotz Zulassung und positiver Nutzenbewertung erreicht die Therapie in Deutschland bislang nur wenige Betroffene.
Nach Einschätzung der IGH blockieren mehrere große Krankenkassen (AOK, DAK, Techniker) die Versorgung aktiv. Ärztinnen und Ärzte würden durch Hinweise auf vermeintliche Unwirtschaftlichkeit, Regressrisiken und mögliche weitere Nachteile verunsichert. Gleichzeitig sehen sich Patienten mit umfangreichen bürokratischen Verfahren konfrontiert: seitenlangen Anträgen, wiederholten Nachforderungen und langwierigen MDK-Prüfungen, die die Behandlung erheblich verzögern.
„Selbst bei positiven Bescheiden und vollständig eingereichten Unterlagen starten einige Krankenkassen erneut Prüfprozesse“, berichtet die IGH. „Diese Verzögerungen nehmen Betroffenen die Hoffnung auf eine gesteigerte Lebensqualität – und führen im schlimmsten Fall dazu, dass Patienten aufgrund veränderter Kriterien komplett aus der Gentherapie herausfallen.“
Auch Apotheken sind betroffen: Eine spezialisierte Apotheke bleibt aktuell auf den Kosten einer bereitgestellten Gentherapie sitzen, weitere befürchten ähnliche finanzielle Risiken.
Um die Situation zu entschärfen, stellte die IGH ein konkretes (vorgeschlagenes) Finanzierungsmodell vor. Es basiert auf jährlichen Zahlungen über maximal zehn Jahre – orientiert an durchschnittlichen Jahrestherapiekosten – während das Wirksamkeitsrisiko beim Hersteller verbleibt. Über den Morbi-RSA könnten Krankenkassen einen Großteil der Aufwendungen kompensieren. Für die Umsetzung wären lediglich geringfügige gesetzliche Anpassungen erforderlich.
Die IGH fordert von der Politik:
- ein Ende der systematischen Verzögerungstaktiken,
- eine Versorgung gemäß Zulassung und G-BA-Bewertung,
- Anpassungen im Morbi-RSA zur Abbildung innovativer Therapien,
- klare Regelungen zur Vermeidung von Regressängsten bei Ärztinnen und Ärzten,
- transparente und verbindliche Prüfverfahren.
„Innovation darf nicht an bürokratischen Hürden scheitern“, betont die IGH. „Das Gespräch hat gezeigt, dass das Problembewusstsein in der Politik vorhanden ist. Jetzt braucht es konkrete Maßnahmen, damit Patientinnen und Patienten in Deutschland Zugang zu dieser Therapie erhalten – und Hersteller weiterhin in Forschung und Innovation investieren.“
Hintergrundinformationen
Aktuelle Versorgungslage
In Deutschland sind Gentherapien für Menschen mit Hämophilie seit mehreren Jahren zugelassen und wurden in Nutzenbewertungsverfahren positiv bewertet. Trotzdem erreichen sie nach Angaben von Patientenvertretern nur einen Bruchteil der Betroffenen. Die IGH wirft mehreren großen Krankenkassen vor, den Zugang zu diesen innovativen Therapien systematisch zu behindern.
Bei einem Treffen in Berlin schilderte die IGH zahlreiche praktische Hürden: Verunsicherung behandelnder Ärztinnen und Ärzte, langwierige Verwaltungsverfahren und Unsicherheiten für spezialisierte Apotheken.
Medizinischer Hintergrund Gentherapie
Hämophilie ist eine angeborene Blutgerinnungsstörung, bei der der fehlende Gerinnungsfaktor (VIII bei Hämophilie A, bzw. IX bei Hämophilie B) nicht ausreichend produziert wird. Gentherapien zielen darauf ab, mittels einmaliger Infusion genetische Informationen in Leberzellen einzuschleusen, sodass diese dauerhaft den fehlenden Faktor produzieren. Dadurch können regelmäßige Faktorsubstitutionen entfallen.
In Europa sind zwei Gentherapeutika zugelassen, darunter Valoctocogen roxaparvovec (Hämophilie A) und Etranacogen dezaparvovec (Hämophilie B), s. Link. Klinische Daten zeigen deutliche Reduktionen von Blutungen und Faktorverbrauch, gleichzeitig bestehen offene Fragen zu Langzeitwirkung, Immunreaktionen und Dauer der Expression.
Vorwürfe der IGH
Nach Darstellung der IGH bremsen vor allem strukturelle und finanzielle Faktoren die praktische Umsetzung. Ärztinnen und Ärzte würden mit Hinweisen auf Unwirtschaftlichkeit und potenzielle Regressforderungen verunsichert. Zudem entstünden durch seitenlange Anträge, wiederholte MDK-Anfragen und erneute Prüfungen selbst bei positiven Bescheiden monatelange Verzögerungen – mit der Folge, dass Patienten teils erneut getestet werden müssen oder nicht mehr in die Kriterien fallen.
Auswirkungen auf Patienten und Ärzte
Patienten bleiben trotz Zulassung häufig bei ihrer bestehenden Faktorsubstitution, mit hoher Alltagsbelastung. Ärztinnen und Ärzte sehen sich unsicheren Regressregelungen und steigenden Dokumentationspflichten ausgesetzt.
Finanzierungs- und Morbi-RSA-Debatte
Das Gesundheitssystem ist auf kontinuierliche Behandlungskosten ausgelegt, während Gentherapien hohe Einmalzahlungen erfordern. Die IGH diskutierte ein Modell mit gestaffelter Erstattung über bis zu zehn Jahre. Über den Morbi-RSA könnten Kassen einen Großteil der Kosten refinanzieren, sofern die Therapien im Berechnungsmechanismus korrekt abgebildet werden.
Politische Forderungen und Ausblick
Die IGH fordert gesetzliche Klarstellungen, um Verzögerungen zu beenden, Regressängste zu reduzieren und innovative Therapien im Morbi-RSA angemessen zu berücksichtigen.
Nach Einschätzung der IGH ist das Problembewusstsein in der Politik vorhanden. Nun seien konkrete gesetzgeberische Schritte erforderlich, um bürokratische Hürden abzubauen um nicht nur den Zugang zur Gentherapie zu sichern, sondern auch zu anderen innovativen Wirkstoffen und Therapien, um den Forschungsstandort Deutschland zu sichern. Die aktuelle Debatte gilt vielen Fachleuten als Testfall dafür, wie das deutsche Gesundheitswesen künftig mit hochpreisigen Einmaltherapien umgehen wird.
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