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Bedeutung von BSE und neuer Variante der Creutzfeldt-Jakob Erkrankung für die Behandlung mit Gerinnu
Rottenburg, den 04. April 2011

Bedeutung von BSE und neuer Variante der Creutzfeldt-Jakob Erkrankung für die Behandlung mit Gerinnungskonzentraten

von: PD Dr. med. Johannes Oldenburg

Die Übertragung der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung wird seit einigen Jahren im Zusammenhang mit der Behandlung von Blut und Blutprodukten diskutiert. Da Gerinnungskonzentrate aus Plasma hergestellt werden oder wie einige der gentechnischen Faktorenkonzentrate aus Plasma hergestellte Zusätze, z.B. Albumin, enthalten, sind auch die Hämophilie-Patienten von dieser Diskussion betroffen. Dieser Beitrag soll einige wichtige Informationen zu diesem Thema zusammenfassen.

Was ist BSE?
BSE ist die Abkürzung für bovine (Rind) spongiforme (schwammförmig) Enzephalopathie (Erkrankung des Gehirns). Die Erkrankung ist etwa 1980 zum erstenmal aufgetreten, seit 1985 sind die BSE Fälle in England sehr stark angestiegen mit einem Höhepunkt von über 30.000 Fällen jährlich in 1992 und 1993. Insgesamt sind seitdem über 180.000 Rinder nachgewiesenermassen erkrankt. Als Ursache hierfür wird die Verfütterung von infektiöse Risikomaterialien insbesondere Gehirn- und Nervengewebe von Wiederkäuern angenommen. Durch den Tierhandel wurde BSE in andere Länder Europas hineingetragen.
Bei uns in Deutschland werden Rinder seit Ende des letzten Jahres auf BSE gestestet (erster Fall 26. Nov. 2000). Seitdem weiss man, dass es BSE auch bei deutschen Rindern gibt. Inzwischen hat man bei über 100 Rindern BSE nachgewiesen. Man muss aber davon ausgehen, dass es diese Rinder während der ganzen letzten Jahre, wahrscheinlich seit 1990, gegeben hat, ohne dass sie entdeckt wurden. In der Schweiz testet man seit 1990 auf BSE und seit dieser Zeit findet man auch BSE-Fälle mit einem Höhepunkt in 1995/1996. Es gibt eigentlich keinen Grund anzunehmen, warum dies in Deutschland anders sein sollte. Weil man hier erst so spät realisiert hat, dass es solche Fälle gibt, hat man auch entsprechende Massnahmen, wie das Verbot von Risikomaterialien in der Nahrungskette, erst sehr spät, nämlich zum 01. Oktober letzten Jahres erlassen.

Was ist das infektiöse Agens?
Das infektiöse Agens ist kein Virus oder Bakterium sondern ein kleines Eiweiss. Unter bestimmten Bedingungen verändert sich diese Eiweiss (von einer sogenannten Schraubenform in eine Faltblattstruktur. Dies hat zwei Konsequenzen: 1.) In der Faltblattstruktur kann das Eiweiss nicht mehr in der Zelle abgebaut werden, 2.) und dies ist das infektiöse Prinzip, nehmen alle benachbarten schraubenförmigen Eiweisse die Faltblattstruktur an. Auf diese Weise kann sich die Faltblattstruktur nach dem Dominostein-Prinzip (einer stösst den nächsten an) ausbreiten. Da die Faltblattstruktur nicht abgebaut werden kann, wird sie in der Zelle angehäuft und führt schliesslich zum Zelltod.

Eine wichtige Theorie ist, dass eine einzelne Faltblattstruktur möglicherweise gar nicht gefährlich ist. Erst wenn sich mehrere Faltblattstrukturen zu Aggregaten zusammengelagert haben, können sie sich ausbreiten.

Was ist die neue Variante der Creutzfeldt Jakob Erkrankung?
Die neue Variante der Creutzfeldt Jakob Erkrankung ist beim Menschen erstmals 1995 in England festgestellt worden. Es ist eine Erkrankung des Gehirns, die innerhalb von 2 Jahren nach der Diagnose zum Tode führt. Überwiegend jüngere Menschen sind betroffen. Die Ursache für die Erkrankung, und hier ist man sich heute weitgehend sicher, ist der Genuss von Lebensmitteln, die hochinfektiöses Rindermaterial (z. B. Rinderhirn) enthielten. Bisher sind etwa 110 Menschen an dieser neuen Variante der CJD erkrankt, wobei die Erkrankungsrate pro Jahr zunimmt. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass diese Zahl erst die Spitze des Eisbergs ist. Fast alle diese Fälle kommen aus England, 3 aus Frankreich und 1 aus Irland. In Deutschland gibt es bisher noch keinen Fall, aber es ist eine Frage der Zeit bis es den ersten Fall auch bei uns geben wird.

Nicht verwechseln darf man diese neue Variante mit der klassischen Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung. Diese gab es immer schon mit einer Häufigkeit von etwa 100 Fällen/Jahr in Deutschland. Der Unterschied ist, dass hier die Erkrankung und insbesondere das infektiöse Eiweiss auf das Gehirn beschränkt bleiben, es geht nicht durch den Körper und in die Blutbahn.

Bei der neuen Variante der Creutzfeldt Jakob Erkrankung wird das infektiöse Eiweiss mit der Nahrung aufgenommen, befindet sich eine zeitlang im Blut - vor allem in den weissen Blutkörperchen - von wo aus es dann in Richtung Gehirn wandert, möglicherweise entlang der Gehirnnerven, und sich dann im Gehirn ausbreitet. In bestimmten Organen, die viel weisse Blutkörperchen enthalten reichert es sich an, wie z. B. in den Gaumenmandeln, der Darmwand, insbesondere dem Blinddarm und der Milz. Der Prozess der Ausbreitung bis ins Gehirn und bis zu den ersten klinischen Symptomen dauert zwischen 10 und 40 Jahren, je nachdem auf welche Situation das infektöse Eiweiss in dem jeweiligen Organismus trifft. So weiss man inzwischen, dass in der Bevölkerung vorkommende individuelle genetische Variationen die Ausbreitung des infektiösen Eiweisses begünstigen oder auch hemmen können.

Die Befürchtung von verschiedenen Gruppen, insbesondere den Organisationen, welche die Interessen der Patienten vertreten, für die Sicherheit von Blut und Blutprodukten beruht im wesentlichen auf drei Punkten 1.) das sich das infektiöse Eiweiss zumindest vorübergehend in der Blutbahn befindet und damit zumindest theoretisch über Blutspender in Gerinnungskonzentrate gelangen könnte 2.) die schon genannte lange Inkubationszeit von 10 bis 40 Jahren. Das heisst, dass man die Folgen von dem was in den vergangenen Jahren und jetzt passiert ist, erst in ferner Zukunft sieht 3.) die grosse Zahl der "Spenderkontakte". Der Durchschnittspatient mit schwerer Hämophilie erhält etwa 10 Chargen/Jahr, jede hergestellt aus etwa 40.000 Plasmaspendern, d. h. er hat Kontakt zu etwa 400.000 Plasmaspendern/Jahr. Dies sind in 10 Jahren 4.000.000 Plasmaspenden. Angesichts dieser Zahl stellen auch sehr seltene Erreger für den Hämophilen ein beträchtliches Risiko dar, wenn die Erreger durch den Herstellungsprozess nicht vollständig entfernt oder inaktiviert werden.

Der AK Blut, ein Gremium aus Vertretern der obersten Gesundheitsbehörden, mehrerer medizinischer Fachgesellschaften, Behandlern, der Industrie und der Patientenorganisationen fasst die Gesamtheit aller tierexperimentellen Befunde derzeit so zusammen, dass eine mögliche Übertragung des infektiösen Eiweisses über Blut und Blutprodukte wenig wahrscheinlich, aber nicht ganz auszuschliessen ist.

Eine mögliche Übertragung durch Gerinnungskonzentrate erscheint aus zwei Gründen wenig wahrscheinlich: 1.) die Konzentration des infektiösen Eiweiss im Blut ist sehr gering, davon befinden sich 90% in den Blutzellen und 10% im Plasma, aus dem die Gerinnungsfaktoren hergestellt werden und 2.) wird das infektiöse Eiweiss durch den Herstellungsprozess wenigstens 10.000fach abgereichert. Rein rechnerisch bedeutet dies, dass bei einer belasteten Spende (von 40.000 Spenden in einem Pool) nach der Herstellung weniger als eine infektiöse Einheit in der gesamten aus diesem Pool hergestellten Charge verbleiben würde, die sich auf viele Chargenempfänger (Patienten) verteilt. Ein einzelner Patient würde nach diesem Modell nie eine infektiöse Dosis erhalten.

Hier wird der Begriff der Schwellendosis sehr wichtig. Einige Ergebnisse deuten daraufhin, dass es für das infektiöse Eiweiss eine Schwellendosis geben könnte, d. h., dass das infektiöse Eiweiss erst ab einer bestimmten Menge infektiös ist. Wenn eine solche Schwellendosis überschritten werden muss, kann dies ein Schutz vor seltenen Krankheitserregern sein. Um so mehr, wenn es sich um einen Erreger in niedriger Ausgangskonzentration (Plasma) handelt, der zudem auch noch beim Herstellungsprozess erheblich abgereichert wird. Diese Situation ist sicherlich anders zu bewerten, als es früher bei HIV und Hepatitis C der Fall war, an die sich viele Patienten erinnert fühlen.

Die Existenz einer solchen Schwellendosis würde nach heutiger Einschätzung für die Hämophilie-Patienten bedeuten, das Gerinnungskonzentrate nicht zu einer Infektion mit der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung führen könnten. Daher wäre der wissenschaftlich gesicherte Nachweis einer Schwellendosis von enormer Wichtigkeit.

Eine häufige Frage, die von Patienten gestellt wird:

Haben alle Gerinnungsfaktorenkonzentrate das gleiche theoretische Risiko bezüglich nVCJD?
Vielleicht ist es hier besser von Sicherheitsreserven zu sprechen, da bisher ja für kein Gerinnungskonzentrat ein Risiko für die Übertragung von nvCJK bekannt ist. Unterstellt man, dass hoch- und höchstgereinigte Konzentrate das infektiöse Eiweiss bei der Herstellung stärker abreichern, hätten diese eine höhere Sicherheitsreserve. Ebenfalls Gerinnungskonzentrate, die aus USA-Plasma hergestellt wurden, sollten eine grössere Sicherheitsreserve aufweisen, da es in den USA keine BSE-Fälle und damit voraussichtlich auch kaum nvCJK-Fälle geben sollte. Eine grössere Sicherheitsreserve ist ebenfalls anzunehmen bei den gentechnisch hergestellten Gerinnungskonzentraten, die kein Albumin für die Stabilisierung der Gerinnungsfaktoren enthalten.

Aber: Haben höchstgereinigte Konzentrate Nachteile in der Behandlung bei bestimmten Patienten?
Hier wird derzeit in den Hämophiliebehandlungszentren Frankfurt und Bonn diskutiert, dass Hemmkörper, die unter der Behandlung mit höchstgereinigten Gerinnungsfaktoren entstehen, schlechter zu eliminieren sind als solche, die unter weniger hochgereinigten Konzentraten entstehen. Auch für die Hemmkörperelimination selbst wird zumindest für einen Teil der Hemmkörperpatienten angenommen, dass die Elimination besser mit einem weniger hochgereinigten Konzentrat gelingt. Möglicherweise ist der VWF die Erklärung hierfür, der in den höchstgereinigten Faktor-VIII-Konzentraten nicht enthalten ist, aber in mehreren hochgereinigten und weniger gereinigten Faktor-VIII-Konzentraten. Hervorzuheben ist allerdings, dass das Hemmkörperproblem nur bei sehr jungen Hämophilie-Patienten zu Beginn ihrer Behandlung besteht.

Und: Abwägung mit der Versorgungslage mit Gerinnungskonzentraten
Die Mengen an Gerinnungskonzentrat sind begrenzt, dies haben praktisch alle Patienten zu spüren bekommen im Zusammenhang mit dem Ausfall der Lieferungen des gentechnischen Konzentrates Kogenate von der Fa. Bayer. Bei einigen Patienten wurden nicht dringliche Operationen verschoben, die zugesandten Konzentratmengen waren kleiner, eine Reihe von Patienten sind auf Faktor-VIII-Konzentrate anderer Hersteller gewechselt. Das alle Patienten trotz dieser schwierigen Situation mit Faktor-VIII-Konzentrat beliefert werden und ihre gewohnte Behandlung fortführen konnten, liegt mit daran, dass Deutschland zu etwa 50% mit aus Plasma hergestellten Faktor-VIII-Konzentraten versorgt wird, welche die Minderversorgung bei den gentechnischen Faktor-VIII-Konzentraten kompensieren konnten.

Erwähnt werden sollte auch, dass in den letzten Jahren eine Reihe von Massnahmen verfügt worden sind, die das theoretische Risiko einer Übertragung von nVCJK weiter minimieren. Dazu gehört, der Rückruf von Blutprodukten wenn einer der Spender nach der Spende an nVCJK erkrankt ist, der Ausschluss von Blut und Plasma aus Grossbritannien, der Ausschluss von Spendern, die länger als 6 Monate in GB gelebt haben, und ganz wichtig, die Entfernung der weissen Blutkörperchen.

Fasst man diesen Beitrag zusammen, so stehen heute deutlich mehr Informationen und Wissen zur Verfügung als noch vor einem Jahr. Tests, die das infektöse Eiweiss nachweisen werden zunehmend empfindlicher, auch wenn sie noch nicht ausreichend empfindlich für die Testung von Blut und Blutprodukten sind. Einige Erkenntnisse geben Anlass zu der Annahme, dass das infektiöse Eiweiss nicht über Gerinnungskonzentrate übertragen wird. Eine wissenschaftlich gesicherte Aussage hierzu ist derzeit allerdings noch nicht möglich, so dass ein theoretisches Risiko für die Patienten weiterhin nicht ausgeschlossen werden kann.

Dieser Beitrag soll Ihnen etwas Hintergrundinformation zu dem Risiko einer Übertragung von nVCJK durch Gerinnungskonzentrate geben. Sprechen Sie mit Ihrem Behandler über dieses Thema und versuchen Sie mit ihm zusammen das für Ihre Situation beste Vorgehen festzulegen.

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