Bedeutung von BSE und neuer Variante der Creutzfeldt-Jakob
Erkrankung für die Behandlung mit Gerinnungskonzentraten
von: PD Dr. med. Johannes OldenburgDie Übertragung der neuen Variante der
Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung wird seit einigen Jahren im
Zusammenhang mit der Behandlung von Blut und Blutprodukten
diskutiert. Da Gerinnungskonzentrate aus Plasma hergestellt werden
oder wie einige der gentechnischen Faktorenkonzentrate aus Plasma
hergestellte Zusätze, z.B. Albumin, enthalten, sind auch die
Hämophilie-Patienten von dieser Diskussion betroffen. Dieser
Beitrag soll einige wichtige Informationen zu diesem Thema
zusammenfassen.
Was ist BSE?
BSE ist die Abkürzung für bovine (Rind)
spongiforme (schwammförmig) Enzephalopathie
(Erkrankung des Gehirns). Die Erkrankung ist etwa 1980 zum
erstenmal aufgetreten, seit 1985 sind die BSE Fälle in
England sehr stark angestiegen mit einem Höhepunkt von
über 30.000 Fällen jährlich in 1992 und 1993.
Insgesamt sind seitdem über 180.000 Rinder
nachgewiesenermassen erkrankt. Als Ursache hierfür wird die
Verfütterung von infektiöse Risikomaterialien
insbesondere Gehirn- und Nervengewebe von Wiederkäuern
angenommen. Durch den Tierhandel wurde BSE in andere Länder
Europas hineingetragen.
Bei uns in Deutschland werden Rinder seit Ende des letzten
Jahres auf BSE gestestet (erster Fall 26. Nov. 2000). Seitdem weiss
man, dass es BSE auch bei deutschen Rindern gibt. Inzwischen hat
man bei über 100 Rindern BSE nachgewiesen. Man muss aber davon
ausgehen, dass es diese Rinder während der ganzen letzten
Jahre, wahrscheinlich seit 1990, gegeben hat, ohne dass sie
entdeckt wurden. In der Schweiz testet man seit 1990 auf BSE
und seit dieser Zeit findet man auch BSE-Fälle mit einem
Höhepunkt in 1995/1996. Es gibt eigentlich keinen Grund
anzunehmen, warum dies in Deutschland anders sein sollte. Weil man
hier erst so spät realisiert hat, dass es solche Fälle
gibt, hat man auch entsprechende Massnahmen, wie das Verbot von
Risikomaterialien in der Nahrungskette, erst sehr spät,
nämlich zum 01. Oktober letzten Jahres erlassen.
Was ist das infektiöse Agens?
Das infektiöse Agens ist kein Virus oder Bakterium sondern ein
kleines Eiweiss. Unter bestimmten Bedingungen verändert
sich diese Eiweiss (von einer sogenannten Schraubenform in eine
Faltblattstruktur. Dies hat zwei Konsequenzen: 1.) In der
Faltblattstruktur kann das Eiweiss nicht mehr in der
Zelle abgebaut werden, 2.) und dies ist das infektiöse
Prinzip, nehmen alle benachbarten schraubenförmigen Eiweisse
die Faltblattstruktur an. Auf diese Weise kann sich die
Faltblattstruktur nach dem Dominostein-Prinzip (einer
stösst den nächsten an) ausbreiten. Da die
Faltblattstruktur nicht abgebaut werden kann, wird sie in der Zelle
angehäuft und führt schliesslich zum Zelltod.
Eine wichtige Theorie ist, dass eine einzelne Faltblattstruktur
möglicherweise gar nicht gefährlich ist. Erst wenn sich
mehrere Faltblattstrukturen zu Aggregaten zusammengelagert
haben, können sie sich ausbreiten.
Was ist die neue Variante der Creutzfeldt Jakob
Erkrankung?
Die neue Variante der Creutzfeldt Jakob Erkrankung ist beim
Menschen erstmals 1995 in England festgestellt worden. Es
ist eine Erkrankung des Gehirns, die innerhalb von 2
Jahren nach der Diagnose zum Tode führt. Überwiegend
jüngere Menschen sind betroffen. Die Ursache für die
Erkrankung, und hier ist man sich heute weitgehend sicher, ist der
Genuss von Lebensmitteln, die hochinfektiöses Rindermaterial
(z. B. Rinderhirn) enthielten. Bisher sind etwa 110 Menschen
an dieser neuen Variante der CJD erkrankt, wobei die
Erkrankungsrate pro Jahr zunimmt. Es gibt gute Gründe
anzunehmen, dass diese Zahl erst die Spitze des Eisbergs ist. Fast
alle diese Fälle kommen aus England, 3 aus Frankreich und 1
aus Irland. In Deutschland gibt es bisher noch keinen Fall, aber es
ist eine Frage der Zeit bis es den ersten Fall auch bei uns geben
wird.
Nicht verwechseln darf man diese neue Variante mit der
klassischen Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung. Diese gab es immer
schon mit einer Häufigkeit von etwa 100 Fällen/Jahr in
Deutschland. Der Unterschied ist, dass hier die Erkrankung und
insbesondere das infektiöse Eiweiss auf das Gehirn
beschränkt bleiben, es geht nicht durch den Körper
und in die Blutbahn.
Bei der neuen Variante der Creutzfeldt Jakob Erkrankung
wird das infektiöse Eiweiss mit der Nahrung aufgenommen,
befindet sich eine zeitlang im Blut - vor allem in den weissen
Blutkörperchen - von wo aus es dann in Richtung Gehirn
wandert, möglicherweise entlang der Gehirnnerven, und sich
dann im Gehirn ausbreitet. In bestimmten Organen, die viel
weisse Blutkörperchen enthalten reichert es sich an, wie z. B.
in den Gaumenmandeln, der Darmwand, insbesondere dem
Blinddarm und der Milz. Der Prozess der Ausbreitung
bis ins Gehirn und bis zu den ersten klinischen Symptomen dauert
zwischen 10 und 40 Jahren, je nachdem auf welche Situation das
infektöse Eiweiss in dem jeweiligen Organismus trifft. So
weiss man inzwischen, dass in der Bevölkerung vorkommende
individuelle genetische Variationen die Ausbreitung des
infektiösen Eiweisses begünstigen oder auch hemmen
können.
Die Befürchtung von verschiedenen Gruppen,
insbesondere den Organisationen, welche die Interessen der
Patienten vertreten, für die Sicherheit von Blut und
Blutprodukten beruht im wesentlichen auf drei Punkten
1.) das sich das infektiöse Eiweiss zumindest
vorübergehend in der Blutbahn befindet und damit
zumindest theoretisch über Blutspender in
Gerinnungskonzentrate gelangen könnte 2.) die schon genannte
lange Inkubationszeit von 10 bis 40 Jahren. Das heisst, dass
man die Folgen von dem was in den vergangenen Jahren und jetzt
passiert ist, erst in ferner Zukunft sieht 3.) die grosse Zahl
der "Spenderkontakte". Der Durchschnittspatient mit schwerer
Hämophilie erhält etwa 10 Chargen/Jahr, jede hergestellt
aus etwa 40.000 Plasmaspendern, d. h. er hat Kontakt zu etwa
400.000 Plasmaspendern/Jahr. Dies sind in 10 Jahren 4.000.000
Plasmaspenden. Angesichts dieser Zahl stellen auch sehr seltene
Erreger für den Hämophilen ein beträchtliches Risiko
dar, wenn die Erreger durch den Herstellungsprozess nicht
vollständig entfernt oder inaktiviert werden.
Der AK Blut, ein Gremium aus Vertretern der obersten
Gesundheitsbehörden, mehrerer medizinischer
Fachgesellschaften, Behandlern, der Industrie und der
Patientenorganisationen fasst die Gesamtheit aller
tierexperimentellen Befunde derzeit so zusammen, dass eine
mögliche Übertragung des infektiösen Eiweisses
über Blut und Blutprodukte wenig wahrscheinlich, aber nicht
ganz auszuschliessen ist.
Eine mögliche Übertragung durch
Gerinnungskonzentrate erscheint aus zwei Gründen
wenig wahrscheinlich: 1.) die Konzentration des
infektiösen Eiweiss im Blut ist sehr gering, davon befinden
sich 90% in den Blutzellen und 10% im Plasma, aus dem die
Gerinnungsfaktoren hergestellt werden und 2.) wird das
infektiöse Eiweiss durch den Herstellungsprozess wenigstens
10.000fach abgereichert. Rein rechnerisch bedeutet dies, dass bei
einer belasteten Spende (von 40.000 Spenden in einem Pool) nach der
Herstellung weniger als eine infektiöse Einheit in der
gesamten aus diesem Pool hergestellten Charge verbleiben
würde, die sich auf viele Chargenempfänger (Patienten)
verteilt. Ein einzelner Patient würde nach diesem Modell nie
eine infektiöse Dosis erhalten.
Hier wird der Begriff der Schwellendosis sehr wichtig.
Einige Ergebnisse deuten daraufhin, dass es für das
infektiöse Eiweiss eine Schwellendosis geben könnte, d.
h., dass das infektiöse Eiweiss erst ab einer bestimmten Menge
infektiös ist. Wenn eine solche Schwellendosis
überschritten werden muss, kann dies ein Schutz vor seltenen
Krankheitserregern sein. Um so mehr, wenn es sich um einen Erreger
in niedriger Ausgangskonzentration (Plasma) handelt, der zudem auch
noch beim Herstellungsprozess erheblich abgereichert wird. Diese
Situation ist sicherlich anders zu bewerten, als es früher bei
HIV und Hepatitis C der Fall war, an die sich viele Patienten
erinnert fühlen.
Die Existenz einer solchen Schwellendosis würde nach
heutiger Einschätzung für die Hämophilie-Patienten
bedeuten, das Gerinnungskonzentrate nicht zu einer Infektion mit
der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung führen
könnten. Daher wäre der wissenschaftlich gesicherte
Nachweis einer Schwellendosis von enormer Wichtigkeit.
Eine häufige Frage, die von Patienten gestellt
wird:
Haben alle Gerinnungsfaktorenkonzentrate das gleiche
theoretische Risiko bezüglich nVCJD?
Vielleicht ist es hier besser von Sicherheitsreserven zu sprechen,
da bisher ja für kein Gerinnungskonzentrat ein Risiko für
die Übertragung von nvCJK bekannt ist. Unterstellt man, dass
hoch- und höchstgereinigte Konzentrate das infektiöse
Eiweiss bei der Herstellung stärker abreichern, hätten
diese eine höhere Sicherheitsreserve. Ebenfalls
Gerinnungskonzentrate, die aus USA-Plasma hergestellt wurden,
sollten eine grössere Sicherheitsreserve aufweisen, da es in
den USA keine BSE-Fälle und damit voraussichtlich auch kaum
nvCJK-Fälle geben sollte. Eine grössere
Sicherheitsreserve ist ebenfalls anzunehmen bei den gentechnisch
hergestellten Gerinnungskonzentraten, die kein Albumin für die
Stabilisierung der Gerinnungsfaktoren enthalten.
Aber: Haben höchstgereinigte Konzentrate Nachteile in
der Behandlung bei bestimmten Patienten?
Hier wird derzeit in den Hämophiliebehandlungszentren
Frankfurt und Bonn diskutiert, dass Hemmkörper, die unter der
Behandlung mit höchstgereinigten Gerinnungsfaktoren entstehen,
schlechter zu eliminieren sind als solche, die unter weniger
hochgereinigten Konzentraten entstehen. Auch für die
Hemmkörperelimination selbst wird zumindest für einen
Teil der Hemmkörperpatienten angenommen, dass die Elimination
besser mit einem weniger hochgereinigten Konzentrat gelingt.
Möglicherweise ist der VWF die Erklärung hierfür,
der in den höchstgereinigten Faktor-VIII-Konzentraten nicht
enthalten ist, aber in mehreren hochgereinigten und weniger
gereinigten Faktor-VIII-Konzentraten. Hervorzuheben ist allerdings,
dass das Hemmkörperproblem nur bei sehr jungen
Hämophilie-Patienten zu Beginn ihrer Behandlung besteht.
Und: Abwägung mit der Versorgungslage mit
Gerinnungskonzentraten
Die Mengen an Gerinnungskonzentrat sind begrenzt, dies haben
praktisch alle Patienten zu spüren bekommen im Zusammenhang
mit dem Ausfall der Lieferungen des gentechnischen Konzentrates
Kogenate von der Fa. Bayer. Bei einigen Patienten wurden nicht
dringliche Operationen verschoben, die zugesandten Konzentratmengen
waren kleiner, eine Reihe von Patienten sind auf
Faktor-VIII-Konzentrate anderer Hersteller gewechselt. Das alle
Patienten trotz dieser schwierigen Situation mit
Faktor-VIII-Konzentrat beliefert werden und ihre gewohnte
Behandlung fortführen konnten, liegt mit daran, dass
Deutschland zu etwa 50% mit aus Plasma hergestellten
Faktor-VIII-Konzentraten versorgt wird, welche die Minderversorgung
bei den gentechnischen Faktor-VIII-Konzentraten kompensieren
konnten.
Erwähnt werden sollte auch, dass in den letzten Jahren eine
Reihe von Massnahmen verfügt worden sind, die das theoretische
Risiko einer Übertragung von nVCJK weiter minimieren. Dazu
gehört, der Rückruf von Blutprodukten wenn einer
der Spender nach der Spende an nVCJK erkrankt ist, der
Ausschluss von Blut und Plasma aus Grossbritannien, der
Ausschluss von Spendern, die länger als 6 Monate in
GB gelebt haben, und ganz wichtig, die Entfernung der
weissen Blutkörperchen.
Fasst man diesen Beitrag zusammen, so stehen heute deutlich mehr
Informationen und Wissen zur Verfügung als noch vor einem
Jahr. Tests, die das infektöse Eiweiss nachweisen werden
zunehmend empfindlicher, auch wenn sie noch nicht ausreichend
empfindlich für die Testung von Blut und Blutprodukten sind.
Einige Erkenntnisse geben Anlass zu der Annahme, dass das
infektiöse Eiweiss nicht über Gerinnungskonzentrate
übertragen wird. Eine wissenschaftlich gesicherte Aussage
hierzu ist derzeit allerdings noch nicht möglich, so dass ein
theoretisches Risiko für die Patienten weiterhin nicht
ausgeschlossen werden kann.
Dieser Beitrag soll Ihnen etwas Hintergrundinformation zu dem
Risiko einer Übertragung von nVCJK durch Gerinnungskonzentrate
geben. Sprechen Sie mit Ihrem Behandler über dieses Thema und
versuchen Sie mit ihm zusammen das für Ihre Situation beste
Vorgehen festzulegen.