Prof. Egli bekundet in einem Schreiben vom 7.9.1970 an Dr.
Franklin das große Interesse seines Institutes und der
deutschen Hämophilie-Patienten (vertreten durch die Deutsche
Hämophiliegesellschaft) an dieser neuen Behandlungsmethode und
bittet um weitere schriftliche Informationen. Desweiteren
schlägt er einen Besuch in Los Angeles vor, um sich vor Ort
über die neue Behandlungsmethode erkundigen zu
können.
Vom 8. - 29.1.1971 fliegt eine deutsche Ärztedelegation auf
Einladung von Frau Dr. Franklin vom 30. September 1970 nach Los
Angeles, um sich vor Ort in intensiven Studien über das Home
Transfusion Programme zu informieren. Neben den Bonner Ärzten
Prof. Egli und Dr. Rippich nehmen der Münchner
Hämophiliebehandler Prof. Gastpar an dieser Informationsreise
teil.
Am 11. und 12. Januar 1971 findet mit der Leiterin des
Heimselbstbehandlungsprogrammes, Frau Dr. Franklin sowie die
Direktorin des Orthopaedic Hospital, Frau Prof. Carol Kasper ein
eingehender Gedankenaustausch über das neue Behandlungskonzept
statt.
Die Fragen der deutschen Ärzte werden wie folgt
beantwortet:
1. Frage:
Welche Vorteile ergeben sich für die Teilnehmer des
Heimselbstbehandlungs-programmes?
Antwort:
a. Unmittelbare Konzentratgabe von Plasmakonzentrat nach
Erkennen einer Blutung
b. hierdurch Verhinderung von Einblutungen in die Gelenke,
c. weniger Fehlzeiten in Schule und Beruf,
d. geringere Krankenhausaufenthalte, somit Kostenersparnis,
e. größere Mobilität der Patienten,
f. Stärkung der psychischen und physischen Situation der
Patienten,
g. exakte Dosierungsanleitung auf jeden einzelnen Patienten
abgestimmt, somit gezielter Einsatz von Plasmakonzentrat
möglich.
2. Frage:
Treten Nebenwirkungen durch das Heimselbstbehandlungsprogramm
auf?
Antwort:
Nebenwirkungen wie Hitzewallungen, Kopfschmerzen, allergische
Reaktionen oder Schock seien kaum festzustellen. Wenn
Nebenwirkungen auftreten, sei dies immer nur auf eine einzige
Charge zurückzuführen, aber auch hier seien einige
Patienten betroffen, während andere Patienten diese
anstandslos vertragen.
Hepatitis - Infektionen seien bisher in keinem einzigen Fall
nachgewiesen worden, dies decke sich auch mit Erkenntnissen anderer
Fachkollegen. Dies sei möglicherweise auf die Bildung von
Antikörpern wegen der häufigen Gabe von Plasmakonzentrat
zurückzuführen.
3. Frage:
Wie groß ist das geographische Areal, das von dem Home
Transfusion Programme betreut wird?
Antwort:
Um eine ausreichende und verantwortliche ärztliche
Betreuung garantieren zu können, bleibe das geographische
Areal auf max. 120 Meilen rund um Los Angeles beschränkt.
Patienten außerhalb dieses geographischen Areals werden an
andere Behandlungszentren verwiesen und erhalten auch kein
Konzentrat.
4. Frage:
Werden die Patienten durch das Home Transfusion Programme nicht zu
einem laxen Umgang mit ihrer Krankheit animiert und werden z.B.
orthopädische Störungen möglicherweise zu spät
erkannt?
Antwort:
Die Patienten werden erst nach einer intensiven Schulung von
mindestens drei Monaten in die Heimselbstbehandlung entlassen mit
der Auflage, sich regelmäßig im Institut ärztlich
betreuen zu lassen. Außerdem haben die Patienten jede
einzelne Konzentratgabe in einem Datenbuch festzuhalten und der
Klinik regelmäßig vorzulegen. Zur Vermeidung von
orthopädischen Störungen werde eine intensive
Zusammenarbeit zwischen Hämophilieambulanz und der
orthopädischen Klinik gepflegt. Nur durch diese enge
Zusammenarbeit sei ein Erfolg der Therapie überhaupt
möglich.
5. Frage:
Wie sieht es mit der psychischen Belastung für die
Patienten aus?
Antwort:
Die Teilnehmer des Home Transfusion Programme sind durchweg in
einer günstigeren psychischen Verfassung als Patienten, die
klinisch behandelt werden. Patienten des Home Transfusion Programme
vermeiden alles, was ihre Venen verletzen und ihnen Schmerzen
zufügen kann. Bei der klinischen Behandlung sei es wiederholt
vorgekommen, daß Schwestern diese Sorgfalt vermissen lassen
und teilweise bis zu 6 Mal vergeblich gestochen haben, bevor ein
Arzt zu Hilfe gerufen wurde.
6. Frage:
Für das Home Transfusion Programme kommen
Plasmakonzentrate zur Anwendung, die infundiert werden. Ist dieses
Programm auch in Deutschland, wo Kryopräzipitate und
Cohn´sche Fraktion I (in Bonn) verwendet werden,
durchführbar?
Antwort:
Das Problem mit Kryopräzipitat besteht in der notwendigen
gefrorenen Lagerung bei minus 200 Celsius und ist
deshalb in der Heimselbstbehandlung nicht anwendbar. Die
Cohn´sche Fraktion I ist lyophilisiert und dürfte wegen
der benötigten Menge, die in Form von Infusionen gegeben
werden muß, möglicherweise schwierig sein.
Allerdings werde auch in Los Angeles das Faktor VIII-Präparat
der Fa. Courtland als Infusion verabreicht, dies stelle bei den
Patienten nach der Schulung jedoch kein Problem dar.
Schließlich werden die deutschen Ärzte intensiv und
mehrere Tage in die praktische und theoretische Schulung der
Patienten eingeführt und besuchen abschließend die
Hyland-Werke (dem führenden Hersteller von Plasmakonzentraten)
in der Nähe von Los Angeles, um sich hier ein Bild von der
Herstellung der Konzentrate und deren ausreichenden
Verfügbarkeit bei einer großflächigen Anwendung zu
machen und Fragen nach der Präparatesicherheit zu
stellen...
|