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Aussichten auf Schadensersatzansprüche wegen Hepatitis C-Erkrankung durch Faktor VIII Konzentrate od
Rottenburg, den 04. April 2011

Aussichten auf Schadensersatzansprüche wegen Hepatitis C-Erkrankung durch Faktor VIII Konzentrate oder PPSB aus der Zeit von 1976 bis 1984?
von: RA E. Lersch, Bad Breisig

Im Spätsommer diesen Jahres berichtete DER SPIEGEL, dass Herr Abgeordneter Scheu im Rahmen seiner Promotion festgestellt habe, dass durch die amerikanischen Produzenten von Faktor VIII-Konzentraten und PPSB die in der Bundesrepublik Deutschland seit 1976 geltende ALT-Richtlinie nicht beachtet worden sei, was haftungsrechtliche Konsequenzen zur Folge haben könnte. Da mir Herr Abgeordneter Gerhard Scheu als Vorsitzender des 3. Untersuchungsausschusses des 12. Deutschen Bundestages zu der Frage "HIV bei Blut und Blutprodukten" bekannt war und mir überdies der Begriff "ALT" im Zusammenhang mit von mir bearbeiteten Hepatitis C-Fällen ein Begriff war, nahm ich mit dem Abgeordneten Scheu Verbindung auf und konnte mit ihm am 16.09.1999 in Berlin ein sehr ausführliches und interessantes Gespräch führen.

Die Richtlinien für Plasmapheresen vom 01.11.1976 - kurz ALT-Richtlinie genannt - schreibt vor, dass als Spender für Plasmapheresen nicht in Betracht kommen Frauen, die einen GPT-Wert von über 20 mU/ml oder Männer die einen entsprechenden Wert von über 30 mU/ml aufweisen. GPT ist die Abkürzung für Glukamat-Pyruvat-Transaminase und wird heute als Alaninaminotranspherase, kurz ALT-Wert, bezeichnet. Nach Auskunft von Hepatologen ist dieser Wert, abgesehen von Erkenntnissen, die durch eine Leberpunktion oder -biopsie gewonnen werden, der einzige, der Aufschluss über eine sogenannte progrediente, früher aktive, Hepatitis C gibt. Durch die Bestimmung des GPT-Wertes bei potentiellen  Spendern von Plasma sollen also diejenigen von vornherein ausgeschlossen werden, die  durch Überschreitung der genannten Grenzwerte zumindest im Verdacht stehen, eine aktive oder progrediente Hepatitis C - vor Nachweis des C-Virus noch Hepatitis non-A-non-B genannt - aufwiesen. Die Neuigkeit in der Erkenntnis des Herrn Abgeordneten Scheu besteht nun darin, dass die  ALT-Richtlinie nach einer in den USA durchgeführten und in dem Buch HIV and the Blood Supply by Lauren B. Leveton, National Academy Press, Washington DC, 1995 veröffentlichen Untersuchung  von keinem Produzenten in den USA angewandt wurde, auch wenn die Produkte auf dem deutschen Markt vertrieben werden sollten. § 5 AMG verbietet es aber, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen und versteht unter solchen diejenigen, bei denen nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Berücksichtigt man, dass die ALT-Richtlinie durch einen sachverständigen Ausschuss des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer aufgestellt wurde, wird man sie als den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse verstehen müssen. Das Verbot, Spender mit einem GPT-Wert von über 20 mU/ml bei Frauen und über 30 mU/ml bei Männern zur Plasmapherese zuzulassen, bestätigt als Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft seit dem 01.11.1976, dass bei diesen die potentielle Gefahr der Übertragung des Hepatitis non-A-non-B-Virus durch ein Blutprodukt bekannt war und dieses Risiko durch die vorgeschriebene Spenderauswahl weitestgehend  vermieden werden sollte. Die ALT-Richtlinie stellt als Stand der medizinischen Wissenschaft fest, dass ein Inverkehrbringen von Blutprodukten des ausgeschlossenen Spenderkreises als nicht vertretbar betrachtet wurde. Wurde aber dieser Standart durch die Arzneimittelhersteller in den USA bei Produkten für den deutschen Markt nicht eingehalten, greift die aus dem Verbot des § 5 AMG abgeleitete Gefährdungshaftung des Produzenten nach § 84 AMG ein.

Danach könnten Betroffene anspruchsberechtigt sein, die in der Zeit von 1976 bis 1984 Faktor VIII-Konzentrate von amerikanischen Produzenten erhielten. Dies gilt auch für diejenigen, die in der fraglichen Zeit Produkte verschiedener Arzneimittelhersteller aus den USA bezogen haben, sofern nicht gleichzeitig auch ein Produkt eines anderen, beispielsweise eines deutschen Herstellers zur Anwendung kam. Während es in den Verfahren, die wegen der HIV-Infektion geführt wurden, notwendig war, den richtigen Verursacher zu finden, was bei mehreren möglichen generell nicht zu erreichen war, da dem Patienten in der Regel der konkrete Nachweis, dass ein bestimmtes Produkt HIV-kontaminiert war, nach Verbrauch des selben nicht gelang, wäre dies im vorliegenden Fall nicht notwendig, wenn alle empfangenen Faktor VIII-Konzentrate von US-amerikanischen Arzneimittelherstellern stammen, da diese alle die sogenannte ALT-Richtlinie nicht beachtet haben. Damit liegt bei allen diesen Produkten ein Verstoß gegen § 5 AMG vor. Der Patient braucht also nicht nur darzulegen und zu beweisen, durch welches der mehreren amerikanischen Produkte er tatsächlich mit dem HC-Virus infiziert wurde.

Konsequenz aus den Feststellungen des Herrn Abgeordneten  Scheu ist aber auch, dass einerseits nur der Empfänger eines oder mehrerer ausschließlich in den USA hergestellten Faktor VIII-Konzentrate oder PPSB  zum Kreise der möglichen Anspruchsberechtigten gehören kann und andererseits der Anspruchsgegner nicht derjenige ist, der das Produkt in der Bundesrepublik Deutschland vertreibt, sondern der Produzent selbst.

Da Herr Abgeordneter Scheu 1997 durch eine Anfrage von den Zusammenhängen erfuhr, geht er von dem Ablauf der dreijährigen Verjährung am 31.12.1999 aus. Meines Erachtens dürfte es jedoch nicht auf seine Erkenntnisse ankommen, sondern auf die Erkenntnis des Betroffenen selbst. Dieser mag zum ersten Mal durch den Spiegelartikel auf die Handlungsweise in den USA aufmerksam geworden sein, so dass wohl mit einem Ablauf der Verjährung erst ab diesem Zeitpunkt in drei Jahren auszugehen sein dürfte. Doch demjenigen, der den Weg größtmöglicher Sicherheit gehen will, mag empfohlen werden, seine Bemühungen nun vor Ablauf dieses Jahres zum Zwecke einer Verjährungsunterbrechung aufzunehmen. Ist der jeweilige Produzent in diesem Falle nicht bereit, schriftlich auf die Einrede der Verjährung bis zu einem späteren Zeitpunkt zu verzichten, kann die Verjährung allerdings nur durch rechtzeitige Einreichung der Klage vor dem 31.12.1999 unterbrochen werden.

In Übereinstimmung mit Herrn Scheu gehe ich ebenfalls davon aus, dass auch die von einem großen Teil der Betroffenen abgeschlossenen Vergleiche mit den Versicherungen der Arzneimittelhersteller einer etwaigen Geltendmachung von Ansprüchen in Folge der Hepatitis C nicht im Wege stehen dürften. Denn es wäre sicherlich überzogen, in die Vergleiche eine Ausschlusswirkung auch bezüglich der Hepatitis C-Infektion hinein zu interpretieren, wenngleich nicht auszuschließen ist, dass sich die pharmazeutische Industrie gegebenenfalls im Verlaufe des Verfahrens darauf berufen könnte. In einem aktuellen Verfahren, das ich zur Zeit vor dem Landgericht Düsseldorf führe, wurde dieses Problem von der dortigen Beklagten bisher noch nicht thematisiert.

Gestützt auf das gleiche Verfahren kann an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass das Landgericht Düsseldorf auch in der Sache zwischen den Folgen einer HIV-Infektion und einer HCV-Infektion durchaus zu unterscheiden weiß und unterscheidet. Nach dem Verlauf dieses Verfahrens ist zumindest nicht zwingend davon auszugehen, dass die Gerichte die für eine HIV-Infektion geleisteten und in Anspruch genommenen Entschädigungen gleichzeitig auch als Abgeltung für eine HCV-Infektion betrachten. Dies wäre auch meiner Meinung nach nicht sachgerecht.

Mit Herrn Abgeordneten Scheu gehe ich davon aus, dass die von ihm zu Tage geförderte Erkenntnis über die Nichtanwendung der ALT-Richtlinie durch die amerikanischen Produzenten für die angesprochenen Betroffenen eine Chance für eine Inanspruchnahme eines solchen Produzenten auf Schadensersatz und weiteres Schmerzensgeld in sich birgt. Da eine solche Geltendmachung jedoch gleichzeitig eine Fülle von Rechtsproblemen aufwirft, die vorliegend nur angerissen und nicht abschließend dargelegt werden konnten, muss sich jeder, der zum Kreise der möglichen Anspruchsberechtigten gehören könnte, vergegenwärtigen, dass durchaus ein beachtliches Prozessrisiko bleibt. Doch eine Chance ist jedenfalls gegeben."

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