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Facharbeit zum Thema Hämophilie B
Rottenburg, den 04. April 2011
  1. Einleitung
    - Abgrenzung des Themas und persönlicher Bezug
    - Was ist Hämophilie

  2. Allgemeine Vererbung und Behandlung von Hämophilie B
    - Vererbung von Hämophilie B
    - Ziele der Behandlung
    - Substitutionsbehandlung
    - Behandlung im Kindes- und Jugendalter
    - Behandlung im Erwachsenenalter
    - Behandlung von Konduktorinnen
    - Mögliche Nebenwirkungen und Risiken der Substitutionsbehandlung

  3. Vererbung und Behandlung von Hämophilie B am Beispiel des Hämophilen P.
    - Entstehung und Vererbung - von der sporadischen zur familiären Hämophilie
    - Erkennung und Erstbehandlung der Hämophilie B bei P.
    - Ambulante Substitutionsbehandlung
    - Heimselbstbehandlung
    - Gefahr durch die Behandlung

  4. Zukunftsaussichten
    - Vererbungsmöglichkeiten der Hämophilie bei P.
    - Neue Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten
    -- Gentechnologisch hergestellter Faktor IX
    -- Lebertransplantationen
    -- Gentherapie

  5. Literaturverzeichnis / Anmerkungen

1.  Einleitung

1.1  Abgrenzung des Themas und persönlicher Bezug

Da die Hämophilie viele Themen bietet, habe ich mir zwei zur Bearbeitung herausgesucht: Vererbung und Behandlung. Um die Themen noch konkreter darstellen zu können, werde ich mich bei der Vererbung und Behandlung nur auf die Hämophilie B beziehen und dieses sowohl allgemein als auch an einer speziellen Person darstellen.
Da es in unserer Verwandtschaft einen Hämophilen gibt, bin ich mit dem Thema vertraut und habe die Möglichkeit, an einer konkreten, mir bekannten Person die Vererbung und Behandlung der Hämophilie zu verdeutlichen.

1.2  Was ist Hämophilie ?

Hämophilie - was ist das eigentlich ? Von vielen Leuten hört man immer noch, ein Hämophiler sei jemand, der verblutet, wenn er sich verletzt. Doch das Verbluten eines Hämophilen ist heutzutage in Deutschland nahezu ausgeschlossen. In Osteuropa und der Dritten Welt ist die Möglichkeit des Verblutens oder schwerwiegender Folgeschäden gegeben, weil die Krankheit oft gar nicht erkannt wird; wenn doch, dann kann sie nicht oder nur unzureichend behandelt werden, da die Kosten der Hämophiliebehandlung sehr hoch sind. Ein Monat Dauerbehandlung ohne zusätzliche Blutungsereignisse kostet bei einem 10-jährigen Jungen ca. 7200,- DM.
Hämophilie, auch unter dem Namen Bluterkrankheit bekannt, ist eine Erbkrankheit, bei der einer der Gerinnungsfaktoren fehlt oder nicht in ausreichender Konzentration vorhanden ist. Man unterscheidet Hämophilie A (Mangel an Faktor VIII) und Hämophilie B (Mangel an Faktor IX). Ca 85% der Hämophilen haben Hämophilie A und ca. 15% Hämophilie B. Die Unterteilung erfolgt je nach Schweregrad der Restaktivität (RA) in schwere Hämophilie (unter 1% RA), mittelschwere Hämophilie (1-5% RA), leichte Hämophilie (5-15% RA) und Subhämophilie (15-35% RA). Ein gesunder Mensch hat 100% Blutgerinnungsfaktorenaktivität, aber schon mehr als 3% reichen aus, um vor alltagsbedingten Blutungen zu schützen. Bei der Hämophilie sind aufgrund der Vererbung ( siehe 2.1 ) fast ausschließlich männliche Personen betroffen, in Deutschland etwa 7000. (nach: Lit.1, S. 47-49; Lit. 3)

 

2.  Allgemeine Vererbung und Behandlung der Hämophilie B

2.1  Vererbung von Hämophilie B

Hämophilie B wird ebenso wie Hämophilie A durch den X-chromosomal- rezessiven Erbgang vererbt. Das heißt, daß das defekte Gen, das das Fehlen bzw. den Mangel an Faktor IX ( bei Hämophilie A an Faktor VIII ) verursacht, auf dem X-Chromosom liegt. Wie bei allen rezessiven Erbgängen sind somit alle Männer, die das defekte Gen besitzen, und alle die Frauen hämophil, die homozygot bezüglich des defekten Gens sind. Homozygot bedeutet hier, daß beide X-Chromosome von der Krankheit betroffen sind. Eine Frau, bei der nur auf einem X-Chromosom das defekte Gen liegt, wird Konduktorin für Hämophilie genannt. Sie kann das defekte Gen an ihre Nachkommen weitergeben, bei ihr selbst tritt die Hämophilie aber nicht auf, weil das andere, gesunde X-Chromosom ausreicht, damit genügend Blutgerinnungsstoffe produziert werden.

  • Aus der Ehe eines Hämophilen mit einer genotypisch gesunden Frau sind alle Söhne genotypisch gesund und alle Töchter Konduktorinnen ( Abb.1 ). Das heißt, daß die Töchter phänotypisch alle gesund sind, die Anlage aber auf einem X-Chromosom liegt. Die Hämophilie tritt also als zu behandelnde Krankheit frühestens wieder in der übernächsten Generation auf.
  • Von den Kindern aus der Ehe einer Konduktorin und eines genotypisch gesunden Mannes sind der Wahrscheinlichkeit nach die Hälfte der Söhne genotypisch gesund, die andere Hälfte ist hämophil. 50% der Töchter sind genotypisch gesund und 50% Konduktorinnen. Statistisch gesehen tritt also bei 1/4 der Kinder aus solch einer Ehe die Hämophilie nach außen in Erscheinung.
  • Aus der Ehe zwischen einem Hämophilen und einer Konduktorin würden 50% gesunde und 50% hämophile Söhne hervorgehen. Die Hälfte der Töchter wäre Konduktorin, die andere Hälfte aufgrund der homozygoten Krankheitsanlage hämophil ( Abb. 3 ). Hier würde also auch eine Hämophilie bei Frauen auftreten, was aber sehr selten vorkommt. Statistisch gesehen wäre die Hälfte der Kinder hämophil.

    Das defekte Gen im X-Chromosom wird ohne jegliche Veränderung weitervererbt, so daß die Schwere der Hämophilie im Laufe der Generationen nicht abnimmt. (nach: Lit. 1, S. 52/53; Lit. 2, S. 10/11; Lit. 4, S. 395-397)

2.2  Ziele der Behandlung

Durch die Behandlung soll dem Körper der fehlende bzw. nicht ausreichend vorhandene Faktor IX zugeführt werden. Dies geschieht durch die intravenöse Substitution, die folgende Ziele hat:
Frühbehandlung bei akuter Blutung ( Blutung wird so schnell wie möglich erkannt und dann wird gespritzt, um die Blutung zu stoppen und Folgeschäden zu vermeiden)
Verhütung von Blutungen durch Dauerbehandlung
Erhaltung und/oder Wiederherstellung von Gelenkfunktionen ( vor allem bei älteren Hämophilen )
Integration des Hämophilen in ein normales soziales Leben (nach: Lit. 2, S. 17; Lit. 5, S. 66)

2.3  Substitutionsbehandlung

Bei der Substitutionsbehandlung wird ein Faktor IX-Konzentrat intravenös gespritzt. Faktor IX ist schon gentechnologisch herstellbar und wird in den USA auch gespritzt. Hier in Deutschland jedoch wird das gentechnologisch hergestellte Faktor IX-Konzentrat noch in klinischen Studien auf Wirksamkeit und Verträglichkeit hin getestet. Bis Ende dieses Jahres wird es wahrscheinlich aber auch hier zugelassen werden. Zur Zeit wird das Konzentrat fast ausschließlich aus menschlichem Blutplasma gewonnen.
Je nach Schweregrad der Hämophilie und Alter des Patienten wird eine unterschiedliche Art der Behandlung durchgeführt. Zum einen gibt es die Dauerbehandlung, bei der alle 72 Stunden bzw. 3x pro Woche gespritzt wird, weil das Faktor IX-Konzentrat eine Halbwertzeit von ca. 16 Stunden hat, nach denen der Faktor nur noch die Hälfte seiner ursprünglich substituierten Aktivität besitzt. Zum anderen gibt es die Behandlung nach Bedarf, bei der bei einer akuten Blutung oder z.B. vor einer Operation o.ä. gespritzt wird. Die Höhe der zu spritzenden Einheiten hängt sowohl vom Körpergewicht als auch vom Alter des Patienten ab. Bis zum Ende der Wachstumsphase steigt die Dosis mit dem Körpergewicht, danach sinkt sie wieder, weil nun die Blutungsgefahr geringer wird. Im Alter von 11/12 Jahren ist diese meistens am höchsten.

2.3.1  Behandlung im Kindes- und Jugendalter

Bei schwerer Hämophilie wird die Dauerbehandlung durchgeführt, um ein recht normales Leben des Hämophilen zu erreichen. Beginn der Behandlung ist meistens gegen Ende des ersten Lebensjahres. Beendigt wird die Dauerbehandlung in der Regel nach Ende der Wachstumsphase, da danach die Blutungsgefahr abnimmt. Durchschnittlich erhält der Hämophile eine Dosis von 20-30 Einheiten (E) / kg Körpergewicht. Eine Einheit enthält soviel Faktor IX wie ein Milliliter Normalplasma. Normalerweise müßte alle 72 Stunden gespritzt werden, da dies aber sehr schwierig ist, wird an drei festen Tagen in der Woche gespritzt. Zusätzlich zur Dauerbehandlung muß auch bei Bedarf gespritzt werden, z.B. bei akuten Blutungen oder vor und nach operativen Eingriffen. Bei Gelenk- und Muskelblutungen liegt die mittlere Initialdosis bei 30-40 E / kg Körpergewicht, bei lebensbedrohlichen Blutungen wie z.B. der Hirnblutung liegt die Initialdosis sogar bei 50-70 E / kg Körperg wicht. Diese Behandlung wird je nach Schwere der Blutung bis zu vier Tage lang durchgeführt, bei Operationen bis zum Abschluß der Wundverheilung. Dabei sollte in Abständen von 12-24 Stunden gespritzt werden, um den Faktor IX-Plasmaspiegel konstant zu halten.
Bei einer mittelschweren oder leichten Hämophilie wird normalerweise nur bei Bedarf gespritzt. Hier beträgt die Initialdosis bei Gelenk- und Muskelblutungen 20-40 E / kg Körpergewicht, bei lebensbedrohlichen Blutungen ebenfalls 50-70 E / kg Körpergewicht. Die Behandlungsdauer ist die gleich wie bei schwerer Hämophilie. Eine Dauerbehandlung wird nur durchgeführt, wenn die Blutungshäufigkeit hoch ist. (nach: Lit. 5, S.67)

2.3.2  Behandlung im Erwachsenenalter

Die Behandlung der schweren Hämophilie im Erwachsenenalter hängt vom einzelnen Patienten ab. Die einen erhalten eine Behandlung nach Bedarf, die anderen eine Dauerbehandlung. Die Behandlung bei Bedarf erfolgt genauso wie die bei mittelschwerer und leichter Hämophilie im Kindesalter. Die Dauerbehandlung wird bei Rezidivblutungen, d.h. bei wiederkehrenden Blutungen, mit der Gefahr irreversibler Schäden und bei besonderer körperlicher und psychischer Belastung durchgeführt. Bei Rehabilitation einer Behinderung durch Blutungen beträgt die durchschnittliche Dosis 20-30 E / kg Körpergewicht bei mindestens dreimaligem Spritzen in der Woche. Die mittelschwere und leichte Hämophilie im Erwachsenenalter wird in der Regel genauso behandelt wie die im Kindesalter, normalerweise mit Behandlung bei Bedarf, in Ausnahmen mit Dauerbehandlung. (nach: Lit. 5, S. 67/68)

Vorbeugen ist besser als nachbehandeln, auch wenn die Substitutionsbehandlung, wie schon einmal erwähnt, sehr teuer ist. 1000 Einheiten kosten ca. 1000,- DM und bei einer schweren Verlaufsform der Hämophilie mit Dauerbehandlung und häufigen Blutungen kann man sich vorstellen, wie teuer das wird. Doch unbehandelte Gelenkblutungen führen unweigerlich zur Verkalkung und zum Verkapseln der Gelenke, so daß vielen Hämophilen der Rollstuhl oder eine Gehbehinderung nicht erspart bliebe. Die Folgen unzureichend behandelter Hämophilie sieht man noch an vielen älteren Hämophilen, deren Rehabilitation heute viel mehr kostet, als wenn man damals hätte vorbeugen können.

2.3.3  Behandlung von Konduktorinnen

Auch Konduktorinnen für Hämophilie müssen vor und nach größeren Operationen behandelt werden, wenn in der Familie eine schwerer Verlaufsform der Hämophilie vorliegt. Denn dann ist der für eine Operation notwendige Plasmaspiegel an Faktor IX zu gering und muß mit der Substitutionsbehandlung erhöht werden. Es wird das gleiche Faktor IX-Konzentrat gespritzt wie bei einem Hämophilen mit Hämophilie B. Bis zum Abschluß der Wundverheilung wird morgens und abends gespritzt, um den Faktor IX-Plasmaspiegel konstant zu halten. Dazu werden in gewissen Abständen Gerinnungsanalysen gemacht, um festzustellen, ob die Dosis erhöht werden muß oder erniedrigt werden kann (siehe dazu auch Bilder 9 und 10).

2.4  Mögliche Nebenwirkungen und Risiken der Substitutionsbehandlung

Ein Risiko, das durch die Virusinaktivierungsverfahren seit ungefähr 1985 aber fast ausgeschlossen ist, ist die Übertragung von Viren durch eine Infektion eines Blutspenders. Vor allem die Hepatitisviren wurden damals auf viele Hämophile übertragen, und in der Zeit von 1983-1985 infizierten sich etwa 2000 Hämophile aus den alten Bundesländern mit HIV.
Eine immunologische Reaktion des Körpers auf Eiweißbestandteile des Faktorenkonzentrates kann eine mögliche Nebenwirkung der Substitutionsbehandlung sein.
Eine schwerwiegende, aber seltene Komplikation ist die Hemmkörper-Hämophilie ( ca. 20-30% bei Patienten mit schwerer Hämophilie A, 1-2% bei schwerer Hämophilie B ). Bei dieser Art von Hämophilie bilden sich Antikörper, die Faktor VIII bzw. IX inaktivieren, so daß trotz Substitutionsbehandlung keine vollständige Blutgerinnung stattfinden kann. Die Behandlung ist sehr aufwendig und teuer und bedeutet eine große psychische und physische Belastung für den Patienten und seine Familie, da zweimal täglich über eine lange Zeit hinweg eine hohe Dosis an Faktorenkonzentrat gespritzt werden muß und der Erfolg dieser Therapie nicht gesichert ist. (nach: Lit. 1, S. 71-73; Lit. 2, S. 21/22; Lit. 6, S. 46/47)

3. Vererbung und Behandlung von Hämophilie B am Beispiel des Hämophilen P.

3.1 Entstehung und Vererbung - von der sporadischen zur familiären Hämophilie

Nachdem bei P. herausgefunden worden war, daß er Hämophilie B hat, begann die Suche nach den Ursachen. Nach den Gesetzen der Vererbung mußte er die Krankheit eigentlich von der Mutter haben. Da aber auch eine Neumutation möglich gewesen wäre, wurde das Blut von beiden Elternteilen auf Veränderungen in den Genen hin untersucht. Bei der Mutter wurde dann das gleiche defekte Gen in einem X-Chromosom gefunden wie bei P., so daß daraufhin sowohl das Blut von P.s Schwester als auch das von den Großeltern, Tanten und deren Kindern mütterlicherseits untersucht wurde. Bei seiner Schwester fand man ebenfalls das defekte Gen, bei allen Verwandten mütterlicherseits aber nichts. Vor allem bei den Eltern von P.s Mutter wurde natürlich gründlich nach der Krankheitsanlage gesucht. Da aber nichts gefunden wurde, mußte man davon ausgehen, daß eine Mutation entweder in den Eizellen der Großmutter oder in den Samenzellen des Großvaters stattgefunden haben muß. Danach wurde das defekte Gen dann ganz normal nach dem X-chromosomal-rezessiven Erbgang weitervererbt. Das Erstauftreten der Hämophilie bei P. wird als sogenannte "sporadische Hämophilie" bezeichnet. Eine in den nächsten Generationen möglicherweise auftretende Hämophilie heißt dann "familiäre Hämophilie".

3.2 Erkennung und Erstbehandlung der Hämophilie B bei P.

1986 wurde P. geboren, und in den ersten Monaten fiel nicht Ungewöhnliches an ihm auf. Doch dann bekam er ohne ersichtlichen Grund blaue Flecken. Da diese mit der Zeit auch nicht weggingen, sondern im Gegenteil noch größer wurden, suchten P.s Eltern den Kinderarzt auf, der aber auch nichts feststellen konnte. Den ersten großen blauen Fleck hatte P. auf der Wange, so daß der Arzt vermutete, es könne mit den Ohren zusammenhängen. Doch dieser Verdacht stellte sich als nichtig heraus. Die nächste Vermutung war ein Vitamin K - Mangel. Vitamin K ist zur Blutgerinnung notwendig, und bei einem Mangel treten gehäuft blaue Flecken auf. Bei einem gestillten Säugling kommt dieser Mangel gelegentlich vor, und so lag diese Vermutung sehr nahe. P. bekam Vitamin K gespritzt, und man war überzeugt, das Auftreten der blauen Flecken nun behoben zu haben. Als P. jedoch wieder blaue Flecken bekam, wurde er in die Kinderabteilung der Neuwieder Klinik eingewiesen. Dort wurde festgestellt, daß kein Vitamin K - Mangel bestand. Ein Arzt kam dann auf die Idee, eine Gerinnungsuntersuchung von P.s Blut durchführen zu lassen. Noch am selben Tag brachten P.s Eltern persönlich das Blut nach Bonn ins "Institut für experimentelle Hämatologie und Bluttransfusionswesen". Als die Eltern am nächsten Morgen ins Krankenhaus kamen und sahen, daß das Bettchen von P. weich ausgepolstert und alle härteren Spielsachen herausgenommen worden waren, war ihnen sofort klar, daß ihr Sohn hämophil ist; P. war inzwischen vier Monate alt. In Bonn hatte man festgestellt, daß er an einer schweren Hämophilie B leidet. Das bedeutet, daß ihm der für die Blutgerinnung notwendige Faktor IX fast ganz fehlt. Aus diesem Grund bekam er in der Hämophilie-Abteilung des Bonner Institutes eine Spritze mit Faktor IX-Konzentrat. Da die Säuglingszeit normalerweise ohne Blutungen verläuft, bekam P. den Rest seines ersten Lebensjahres keine Spritze mehr. Es wurde natürlich besonders darauf geachtet, daß er sich nirgendwo stoßen oder verletzen konnte.

3.3 Ambulante Substitutionsbehandlung

Als P. dann anfing zu krabbeln, versuchte man die Auswirkungen von Stößen zunächst einmal zu mildern, indem man zum einen die Kleidung an Knie- und Ellebogengelenken auspolsterte und zum anderen scharfe Kanten im Haus vermied. Mit zunehmendem Alter wurde P. natürlich immer mobiler, und die blauen Flecken häuften sich. So entschloß man sich schließlich, als P. ein Jahr alt war, mit der Dauerbehandlung zu beginnen.
Zunächst wurde in der Hämophilie-Abteilung des Bonner Institutes ein Behandlungsplan erstellt, wie oft P. gespritzt werden sollte und wieviel Einheiten er erhalten sollte. Anfangs wurde in Bonn gespritzt, dann übernahm der Kinderarzt der Familie die Behandlung. Dies war keine leichte Aufgabe, denn da die Hämophilie im Studium nur kurz angeschnitten wird, mußte dieser Arzt sich erst einmal informieren und in dieses Thema einarbeiten. Außerdem war es nicht leicht, ein einjähriges Kleinkind dreimal in der Woche zu spritzen, dazu noch intravenös. Da bei einem Kleinkind die Venen noch sehr schwer zu treffen sind, wurde P. in die Kopfvene gespritzt. So konnte man ihn auch besser festhalten, als wenn er z.B. in eine der Armvenen gespritzt worden wäre.
Pro Substitution bekam P. 250 Einheiten gespritzt. Bis zu seinem vierten Lebensjahr fuhren seine Eltern also dreimal in der Woche mit ihm zum Kinderarzt, bei größeren Blutungen zum Bonner Institut, da der Kinderarzt nicht das Fachwissen hatte, um entscheiden zu können, wie schwerwiegend eine Blutung war und wieviel Einheiten gespritzt werden mußten. Natürlich entwickelten auch die Eltern allmählich ein Gefühl dafür, wie schwer eine Blutung war, so daß sie sich dazu entschlossen, die Heimselbstbehandlung zu erlernen.

3.4 Heimselbstbehandlung

Als P. vier Jahre alt war, entschlossen sich seine Eltern zur Erlernung der Heimselbstbehandlung, um eine gewisse Unabhängigkeit von den Ärzten zu bekommen und im Falle einer akuten Blutung schneller reagieren zu können. Zuerst lernte die Mutter, etwas später der Vater, die Substitution selbst durchzuführen. Dazu fuhr sie ein- bis zweimal pro Woche nach Bonn. In der Hämophilie-Abteilung des Institutes bekam sie dann erklärt und gezeigt, wie man Blutungen rechtzeitig erkennt und wie man das Faktor IX-Konzentrat dosiert, auflöst und injiziert. In Rücksprache mit dem Hämophilie-Zentrum konnte P. ab diesem Zeitpunkt zuhause behandelt werden und mußte nur noch bei schwer einzuschätzenden Blutungen und zur allgemeinen vierteljährlichen Untersuchung nach Bonn.
Am Anfang wurde er immer noch in die Kopfvene gespritzt, später kamen dann die Armvenen hinzu. Heute wird er nur noch abwechselnd in die Armvenen gespritzt, manchmal auch in die Hand, denn es kann schon einmal vorkommen, daß die Vene durchstochen oder nicht getroffen wird. Dann wird die Substitution an dieser Vene abgebrochen und an einer anderen fortgesetzt. So kann es passieren, daß ziemlich oft gestochen werden muß, und am Ende Eltern und Kind mit den Nerven fertig sind.
Mit zunehmendem Alter bekam P. natürlich auch mehr Einheiten gespritzt. Als P. vier Jahre alt war, waren es 250 Einheiten, heute sind es 600 Einheiten pro Substitution. Bei einer akuten Blutung erhält er heute 3600 Einheiten pro Tag, 1800 Einheiten morgens und 1800 Einheiten abends, je nach Schwere der Blutung bis zu 14 Tagen lang.
P. ist jetzt fast elf und kann sich seit ca. 1 1/2 Jahren selbst spritzen (siehe Bild 4). Er dar die Substitution zur Zeit natürlich nur unter Aufsicht des Arztes oder eines Elternteils durchführen, aber wenn er noch etwas älter ist und selbst die Verantwortung für sein Handeln übernehmen kann, hat er so eine Unabhängigkeit von den Eltern, wenn er z.B. auf Klassenfahrt geht. Wegen dieser Unabhängigkeit und Selbständigkeit befürworten es die Ärzte auch , wenn ein hämophiler Junge schon früh lernt, sich selbst zu spritzen.

3.5 Gefahr durch die Behandlung

Nachdem zwischen 1983 und 1985 viele Hämophile mit dem HI-Virus infiziert wurden, war es seit 1985 für alle Hersteller von Gerinnungspräparaten gesetzlich vorgeschrieben, Virusinaktivierungsverfahren durchzuführen. Seitdem galten die Präparate als sicher.
Anfang 1990 wurde bekannt, daß sich bei einem Patienten mit Hämophilie B HIV-Antikörper gebildet hatten. Da dieser in den letzten Jahren nur mit dem PPSB-Konzentrat der Firma Biotest behandelt worden war, mußte in diesem Konzentrat, in der Charge 1601089, der HI-Virus gewesen sein. Man versuchte nun, alle mit dieser Charge behandelten Hämophilie B-Patienten zu warnen. P. gehörte auch zu diesen Patienten und wurde nachweislich drei Monate mit HIV-positivem Material gespritzt. Daraufhin mußte er ein halbes Jahr lang alle 6 Wochen ins Bonner Institut zum HIV-Antikörpertest. Doch P. hatte großes Glück und wurde nicht infiziert. Von 25 Kindern, die mit dieser Charge behandelt wurden, wurden 10 HIV-positiv. Warum die anderen sich nicht infiziert haben , ist unklar. Man vermutet aber, daß es zum einen mit den Genen und zum anderen mit dem Immunsystem, wahrscheinlich aber auch noch mit vielen anderen, unbekannten Faktoren, zusammenhängt. (nach: Lit. 7, S. 34-36)

4. Zukunftsaussichten

4.1 Vererbungsmöglichkeiten der Hämophilie bei P.

Wenn P. einmal heiratet, wird er sich die Frage stellen : Werden meine Kinder gesund sein ? Bei ihm ist die Situation, wenn er eine gesunde Frau heiratet, einfacher als z.B. bei seiner Schwester. Alle seine Söhne werden gesund sein, alle seine Töchter Konduktorinnen. Er wird also bei seinen Kindern keine Hämophilie zu behandeln haben. Diese tritt, wenn er Töchter bekommt, frühestens bei seinen Enkeln wieder auf. Nur wenn er eine Konduktorin heiraten würde, würde die Hämophilie mit 50%-iger Wahrscheinlichkeit auftreten; diesmal könnte auch eine Tochter betroffen sein

4.2 Neue Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten

4.2.1 Gentechnologisch hergestellter Faktor IX

Der gentechnologisch hergestellte Faktor IX wird die nächste Behandlungsmöglichkeit sein, da die Herstellung schon gelungen ist. Dabei wird das Gen, das für die Faktor IX-Produktion verantwortlich ist, in Hamsterovar- oder Hamsternierenzellen eingeschleust, die die Erbinformationen für die Produktion in ihre DNS einbauen und dann den Faktor IX bilden. Zur Zeit wird in klinischen Studien noch die Verträglichkeit und Wirksamkeit dieser Präparate getestet. Aber voraussichtlich wird schon gegen Ende dieses Jahres auch der gentechnologisch hergestellte Faktor IX zugelassen werden, so daß dann alle Hämophilie B-Patienten diese Möglichkeit nutzen können.

4.2.2 Lebertransplantationen

Eine Lebertransplantation heilt die Hämophilie phänotypisch, da die Leber die Bildungsstätte der Gerinnungsfaktoren VIII und IX ist. Aufgrund der Tatsache, daß eine Lebertransplantation nicht risikolos ist, wird sie nur bei schweren Leberschäden durchgeführt und nicht, um nur die Hämophilie zu heilen. Zwischen 1985 und 1991 wurden bei 11 Patienten mit unterschiedlicher Hämophilie und unterschiedlichen Schweregraden der Hämophilie Lebertransplantationen durchgeführt. Vier Patienten verstarben entweder an der Operationsfolge oder an Infektionen, die anderen sind phänotypisch geheilt.
(nach: Lit. 8, S. 70/71)

4.2.3 Gentherapie

Bei der Gentherapie versucht man, in die Zellen eines Hämophilen ein gesundes Faktor VIII- bzw. IX-Gen einzusetzen. Diese Zellen sollen dann soviel Faktor VIII bzw. IX produzieren, daß man zumindest zeitweilig auf die Substitution verzichten kann. Die Einpflanzung von gesunden Faktor VIII- bzw. IX-Genen in verschiedene Zellen ist schon gelungen, doch nach einiger Zeit hörten diese Zellen mit der Produktion wieder auf. Es müssen also noch viele Versuche gemacht werden, bevor die Gentherapie in klinischen Studien getestet werden kann, und es wird sicherlich noch viel Zeit vergehen, bis die Hämophilie damit geheilt oder zumindest abgeschwächt werden kann. (nach: Lit. 9, S. 16)

5. Literaturverzeichnis

  1. Kurme, Anatol: Ich bin der Martin: Eine Hämophilie-Fibel für Kinder
    und Eltern. Hamburg: MEDI-A-DERM Verlagsgesellschaft mbH für
    medizinische Publizistik, 1994
  2. Maurer, Maximilian H.: Hämophilie, aus der Reihe: Kommunikation
    zwischen Partnern: Heft 26. 4.Aufl. 1984
  3. Informationsblatt der IGH (Interessengemeinschaft Hämophiler e.V.
    Bonn)
  4. Linder, Hermann: Biologie. 20.Aufl. Hannover: Schroedel Schulbuch-
    verlag GmbH, 1989
  5. Arbeitsgruppe "Hämophiliebehandlung" der Gesellschaft für Thrombose
    und Hämostaseforschung (GHT) und Ärztlicher Beirat der Deutschen
    Hämophiliegesellschaft (DHG): "Consensus-Empfehlungen zur Hämo-
    philiebehandlung in Deutschland", in: Hämophilie-Blätter, 3/1993, 27.
    Jahrgang, S. 66-69
  6. Effenberger, W. und E. Schleithoff: "Hämophilie und Hemmkörper - Ein
    Überblick", in: Mitgliederzeitschrift der IGH, 7/96, S. 46-51
  7. Esdar, H. und A. Kurme: "( HIV-Infektionen bei Hämophilie-B-Patienten
    Unglück oder Versagen ? - Eine Chronologie", in: Hämophilie-Blätter,
    1/1990, 24. Jahrgang, S. 34-37
  8. Scharrer, I.: "Lichtblicke bei der Behandlung von Hämophilie und HIV-
    Infektion", in: Hämophilie-Blätter, 2/1991, 25. Jahrgang, S.70/71
  9. Schlenkrich, U. und W. Voerkel: "Herausforderungen von heute sind
    Siege von morgen", vom: XX. Internationalen Kongreß der "World Fede
    ration of Hemophilia", in: Hämophilie-Blätter, 1/1993, 27. Jahrgang, S. 14-16.

 

- Anmerkung:
Die Autorin war zum Zeitpunkt der Ausarbeitung dieser Facharbeit in Biologie(06/1997) 17 Jahre alt, die Arbeit wurde mit der Note 1 - bewertet.
- Anmerkung d. Webmasters:
Der Text wurde aus Darstellungsgründen um einige Illustrationen und die Kapitel "Anhang" & "Nachwort" gekürzt.

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