Systematische molekulargenetische Untersuchung aller Hämophilie-A-Patienten in Deutschland geplant
Rottenburg, den 04. April 2011
Das Humangenomprojekt hat sich weltweit zum Ziel gesetzt, die
Gesamtheit der menschlichen Erbanlagen - das Genom in den
nächsten Jahren vollständig zu entschlüsseln. Auch in Deutschland beteiligen sich viele Forscher an diesem Projekt,
seit es von der Bundesregierung im Jahre 1995 gefördert wird.
Gleichzeitig haben sich aber viele Wissenschaftler auch die Frage
gestellt, ob die neuen Technologien der Genforschung, die mit den
Stichworten "großes Volumen" und "hoher Durchsatz"
gekennzeichnet werden können, auch für das bessere
Verständnis bekannter Erbkrankheiten nutzen lassen. Für
die zweite Förderperiode des Deutschen Humangenomprojektes,
die mit dem Jahr 2000 beginnt, wurde deshalb vorgesehen,
systematisch bekannte Erbkrankheiten auf sog. Genotyp -
Phänotyp Korrelationen zu untersuchen. Hämophilie-A
Patienten wissen, dass ihre Krankheit durch Veränderungen in
der genetischen Information des F8-Gens verursacht wird. Dennoch
gibt es Unterschiede im Schweregrad der Erkrankung , die sich als
leichte, mittlere oder schwere Hämophilie einteilen
lässt. Eine weitere Komplikation führt oft zu Problemen:
besonders solche Bluter-Patienten, die an einer schweren
Hämophilie A erkrankt sind, entwickeln Antikörper, die
sich gegen das Präparat richten und es somit unwirksam machen.
Die Behandlung dieser Patienten ist besonders schwierig.
An dieser Stelle setzen nun die neuen Forschungen eines Konsortiums
an, dem Kollegen aus Bonn (Drs. Brackmann und Schwaab, Institut
für Transfusionsmedizin der Universität), Neuherberg
(Prof. Graw; Institut für Säugetiergenetik des
GSF-Forschungszentrums Neuherberg), Würzburg (Dr. Oldenburg,
Institut für Humangenetik der Universität) und
München (Prof. Schramm, Medizinische Klinik Innenstadt der
Universität) angehören. Im Rahmen der 2.
Förderperiode des Deutschen Humangenomprojektes (Laufzeit
2000-2002) sollen zunächst alle Fälle schwerer
Hämophilie A in Deutschland systematisch molekular
charakterisiert werden. Bisher gibt es dazu nur Einzelansätze,
die mit dem Krankheitsverlauf nur oberflächlich assoziiert
sind. Im Rahmen des neuen Projekts werden Blutproben aller
Hämophilie-Patienten in Deutschland gesammelt. Mit Hilfe eines
begleitenden Fragebogens werden die notwendigen medizinischen und
therapeutischen Daten erfasst. Bei Dr. Oldenburg in Würzburg
wird die Untersuchungsserie gestartet, wobei zunächst die
schweren Fälle bearbeitet werden sollen: Mit Hilfe
verschiedener Screening-Methoden werden etwa 95% der
Hämophilie-Fälle molekular charakterisiert werden
können. Die verbleibenden 5%, deren Mutation zunächst
nicht identifiziert werden können, werden im Labor von Prof.
Graw in Neuherberg (bei München) systematisch
durchsequenziert. Dies ist wegen der besonderen Größe
des F8-Gens recht aufwendig und umfasst alle kodierenden und
regulatorischen Regionen des F8-Gens, d.h. alle 26 Exons, die im
Intron 22 zusätzlich enthaltenen Gene A und B sowie den
Promotorbereich des F8-Gens.
Aufgrund bisheriger Erfahrungen wird erwartet, dass etwa 300
Patienten mit schwerer Hämophilie in Deutschland
Hemmkörper (Alloantikörper) entwickelt haben. Bei Dr.
Schwaab in Bonn werden diejenigen Oberflächenbereiche des
Faktor-VIII Proteins, die für die Antikörper-Bildung
verantwortlich sind, durch die Verwendung einer
Zellulose-gebundenen Peptid-Bank charakterisiert, die das gesamte
Faktor-VIII Protein überlappend abdeckt. Dazu gibt die
molekulare Charakterisierung der verschiedenen Mutationen wichtige
Hinweise, welche Oberflächenstrukturen für diese
Hemmkörperbildung verantwortlich sein können. Die
eigentliche computergestützte Korrelation der
molekulargenetischen und biochemischen Informationen mit den
medizinisch-therapeutischen Daten des Fragebogens erfolgt durch
Herrn Dr. Brackmann (Bonn) und Prof. Schramm (München). Diese
Studie erlaubt es damit, innerhalb von 3 Jahren die Genotypen
(d.h,. die Art der Mutation im F8-Gen) von allen schweren
Fälle von Hämophilie A systematisch zu korrelieren
mit
- der Schwere der Erkrankung einschließlich der
Blutungs-Episoden;
- der Bildung von Hemmkörpern gegen Faktor-VIII
Konzentrate;
- den Domänen des Faktor-VIII Proteins, die für die
Hemmkörper-Bildung verantwortlich sind;
- der Erfolgsrate der Immuntoleranztherapie.
Aufgrund dieser Untersuchungen wollen wir Hinweise erhalten, wie
die vorhandenen Faktotr-VIII Konzentrate verbessert werden
können. Ein besonderes Ziel ist, solche Präparate zu
konstruieren, die keine Nebenwirkungen in Form der
Hemmkörperbildung aufweisen. Ein wichtiger "Nebeneffekt" der
Arbeiten liegt auch in der Grundlagenforschung: Das F8-Gen ist
eines der größten Gene des Menschen und aus
verschiedenen modularen Einheiten aufgebaut. Die systematische
molekulare Analyse der verschiedenen Mutationen im F8-Gen und ihre
Korrelation mit der Aktivität bei der Blutgerinnung gibt
wichtige Hinweise, welche dieser Domänen des Faktor-VIII
Proteins bestimmte Funktionen in der Reaktionskaskade haben und
welche eher unnötiger "Ballast" aus der stammesgeschichtlichen
Entwicklung des Menschen sind.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Jochen Graw
GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundhbeit
Institut für Säugetiergenetik
Ingolstädter Landstr. 1
85764 Neuherberg
Tel: 089/3187-2610
Fax: 089/3187-2210
e-mail: graw@gsf.de
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