Artikel im Rheinischen Merkur
Rottenburg, den 04. April 2011
"Die Bluter und ihr starkes Beispiel" - Ein Artikel des Rheinischen Merkurs.
von Eckart Klaus Roloff
"Es wäre schön, wenn es Ihren Verein nicht geben
müsste, aber es ist so gut, dass es ihn gibt" -so lobt
Bärbel Dieckmann, die Bonner Oberbürgermeisterin, eine
Gruppe, die eine tödliche Bedrohung zusammengeführt
hatte. Vor zehn Jahren bildete sich in Bonn die
Interessengemeinschaft Haemophiler, weil ein grausiger Verdacht
wahr geworden war: Viele der Gerinnungsmittel, die Bluter
benötigen, enthielten Aidsviren.
Damit begann nicht nur eine entsetzliche Leidensgeschichte mit
zahlreichen Todesopfern, sondern auch ein jahrelanger Streit um
Aufklärung und Entschädigung, mit vielen Prozessen und
Demonstrationen. Hier die Bluter, dort deren Ärzte, die
Pharmafirmen, das DRK, die Gesundheitsministerien, etliche
Anwälte und wenige Politiker, die sich der Sache annahmen -
die Fronten waren scharf und klar. Unsere Zeitung hat, so gut sie
konnte, davon berichtet und auf Einigung gedrängt.
Im Juli 1995 trat endlich ein Gesetz in Kraft, das
Entschädigungen möglich machte. Seit-, dem haben 691
direkt betroffene Bluter Geld erhalten- doch 190 sind inzwischen
gestorben. Vielen der Überlebenden und Sterbenden samt deren
Familien hat die damals entstandene Gruppe um Wilfried Breuer und
Günter Schelle dennoch helfen können, durch Kampf, Rat
und Trost. Und das alles ohne Millionengelder und ohne die Promis,
die sich nur für "richtige" Aidskranke engagieren.
Und nun, zehn Jahre später, dies: Der Verein, von 13 Personen
gegründet, umfasst knapp 700 Mitglieder. Und ein Festabend
führt die Kontrahenten von damals zusammen und demonstriert
etwas anderes: Trotz der harten Vergangenheit gibt es
Verständigung. Der Streit ist nicht vergessen, das ist
unmöglich, aber für viele ist er überwunden. Die
Patienten, die Ärzte, die Pharmafirmen wissen, dass sie
aufeinander angewiesen sind. Man sitzt aber nicht nur für
Festreden zusammen. Der anschließende Patiententag informiert
über Neuigkeiten, die für Bluter wichtig sind.
Diese Bluter geben ein Beispiel.
Es gibt so viele andere Medizinopfer, die nur zusammen zu einem Faktor werden und
Aufklärung schaffen, nur gemeinsam Urteile,
Entschädigungen und bessere Vorschriften erreichen. Damit
dienen sie der Medizin insgesamt.
Da sind die rund 200 Frauen, bei denen der Essener Pathologe Josef
Kemnitz (er hat sich inzwischen selbst getötet) zu einer
falschen Brustkrebsdiagnose kam, sodass überflüssige
Amputationen folgten. Da gibt es etwa 1600 Anträge von
Bundeswehrsoldaten, die seit langem Wiedergutmachung für
Radarstrahlenschäden fordern, doch Minister Scharping weigert
sich trotz vieler Versprechen, die Sache zu klären. "Das
Ministerium zeigt uns immer wieder, als wie lästig und
überflüssig es das Radarthema ansieht", sagt ein
Betroffener.
Da werden Kumpel, die sich unter Tage eine schwere Bronchitis
holten, durch rechtswidrige Stichtage so ausgetrickst, dass sie
keine Berufsschadenrente erhalten. Und Mütter, die in der DDR
um 1978/79 durch ein Mittel, das Hepatitis-C- Viren enthielt,
schwer leberkrank wurden, müssen sich von
Versorgungsämtern und Gerichten hinhalten lassen.
Anderen geht es besser: Wird in der Landwirtschaft gesündigt
oder eine Tierseuche gemeldet, wird sofort ein Millionenfonds zum
Entschädigen gefordert. Mit Aussicht auf Erfolg.